Hochzeit zu verschenken
ausdruckslos an. Sie atmet schwer, und einen Moment lang glaube ich, sie wird mir den Zettel um die Ohren hauen. Doch dann faltet sie ihn sorgfältig zusammen und legt ihn auf den Beistelltisch.
Ich kapiere einfach nicht, wie Elinor tickt. Mal denke ich, dass sie tief in sich drinnen eine große Liebe mit sich herumträgt - und im nächsten Augenblick finde ich, sie ist eine kaltherzige blöde Kuh. Mal habe ich das Gefühl, dass sie mich abgrundtief hasst. Dann wiederum denke ich, vielleicht hat sie einfach keine Ahnung, wie sie mit ihrer Art bei den Menschen ankommt. Vielleicht glaubt sie wirklich allen Ernstes, dass sie freundlich ist.
Ich meine, wenn ihr noch nie jemand ins Gesicht gesagt hat, was für eine widerliche Art sie an sich hat... woher soll sie es dann wissen?
»Was willst du damit sagen, dass Luke in zwei Jahren vielleicht nach New York zurückkommen will?«, fragt sie reichlich unterkühlt. »Habt ihr vor, von hier wegzuziehen?«
»Wir haben noch nicht darüber geredet«, antworte ich nach einer kurzen Denkpause. »Aber ja. Ich glaube schon. New York war wirklich eine tolle Erfahrung, aber ich glaube nicht, dass es die Stadt unserer Zukunft ist. Luke ist ausgebrannt. Er muss mal woanders hin.«
Er muss von dir wegkommen, füge ich in Gedanken hinzu.
»Verstehe.« Elinor zieht an ihrer Zigarette. »Es ist dir aber nicht entgangen, dass ich ein Gespräch mit dem Verwaltungsvorstand dieses Gebäudes arrangiert hatte? Was gar nicht so einfach war.«
»Ja, ich weiß. Das hat Luke mir erzählt. Aber ehrlich gesagt, Elinor, wir wären ohnehin nie hier eingezogen.«
Wieder geht ein leichtes Zucken über ihr Gesicht, das mir verrät, dass sie irgendwelche Gefühle unterdrückt. Aber was für Gefühle? Ist sie sauer auf mich, weil ich so undankbar bin? Ist sie enttäuscht, weil Luke nun doch nicht mit ihr unter einem Dach leben wird? Ein Teil von mir ist entsetzlich neugierig und würde am liebsten an ihrer Fassade herumpulen, sich dahinter umsehen und etwas mehr über diese Elinor herausfinden.
Aber ein anderer, vernünftigerer Teil von mir sagt: Vergiss es, Becky. Vergiss es einfach.
Doch auf meinem Weg zur Wohnungstür kann ich es mir nicht verkneifen, mich noch einmal umzudrehen. »Weißt du, Elinor, es gibt da diese Theorie, dass in jedem dicken Menschen im Grunde ein dünner Mensch steckt, der verzweifelt versucht, da herauszukommen. Und... je länger ich über dich nachdenke, desto sicherer bin ich mir, dass in dir -möglicherweise - ein richtig netter Mensch steckt. Aber so lange du weiter gemein zu den Menschen um dich herum bist und ihnen sagst, ihre Schuhe seien schäbig, wird niemand jemals dahinter kommen.«
So. Jetzt bringt sie mich wahrscheinlich um. Schnell raus hier. Ich bemühe mich, nicht so auszusehen, als wenn ich rennen würde, als ich zur Wohnungstür hinauseile. Ich schließe die Tür hinter mir und lehne mich mit heftig klopfendem Herzen dagegen.
Okay. So weit, so gut. Und jetzt ist Luke an der Reihe.
»Ich habe wirklich keine Ahnung, warum du unbedingt ins Rockefeller Center willst.« Luke lehnt sich im Taxi zurück und sieht missmutig aus dem Fenster.
»Weil ich noch nie da oben war! Ich möchte gerne mal die Aussicht genießen, okay?«
»Aber warum ausgerechnet jetzt? Warum heute?«
»Warum nicht heute?« Ich sehe auf die Uhr und beobachte dann Luke.
Er tut, als wenn er glücklich wäre. Er tut, als fühle er sich befreit. Alles Quatsch. Er grübelt mehr denn je.
Oberflächlich gesehen, läuft es mittlerweile wieder etwas besser. Wenigstens hat Luke nicht noch mehr Klamotten verschenkt, und heute Morgen hat er sich tatsächlich mal wieder rasiert. Aber er ist immer noch nicht der Alte. Er ist heute nicht arbeiten gegangen. Hat stattdessen drei Schwarz-weiß-Filme mit Bette Davis geguckt.
Die Ähnlichkeit zwischen Bette Davis und Elinor war mir komischerweise vorher noch nie aufgefallen.
Und Annabel hatte Recht, geht mir durch den Kopf, als ich Luke ansehe. Natürlich hatte sie Recht. Sie kennt ihren Stiefsohn ja, als wenn er ihr leiblicher Sohn wäre. Und sie weiß, dass Elinor tief in Luke drinsteckt, dass sie ein Teil seiner Persönlichkeit ist. Er kann sie nicht einfach aus sich herausschneiden und ohne sie weitermachen. Er braucht zumindest die Chance einer Wiedergutmachung. Selbst wenn es wehtut.
Ich schließe die Augen und schicke ein Stoßgebet an sämtliche existierenden Götter. Bitte macht, dass das hier hinhaut. Bitte. Danach können wir dann
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