Höhenrausch (German Edition)
sofort was zu bedeuten. Er behauptet, er habe mich nicht betrogen, aber es gäbe da jemanden, der seine Gefühle verwirrt habe. Wer glaubt denn so was?»
«Du sagst doch immer, Karsten sei ein Bilderbuchpolizist: besonnen, ausgeglichen und verantwortungsvoll. Kann es nicht sein, dass er ganz einfach die Wahrheit sagt?»
«Was für eine absurde Theorie. Ich gehe davon aus, dass er lügt. So wie jeder andere normale Mensch auch.»
«KANNST DU DIR VORSTELLEN, DASS ICH MIR NICHT VORSTELLEN KANN, OHNE DICH ZU SEIN»
Ich hatte tatsächlich nicht damit gerechnet, belogen zu werden. All die Hinweise und Ungereimtheiten hatte ich treudoof übersehen. Wollte ich nichts merken? War es Selbstschutz? Weil: Aus etwas, was man nicht weiß, muss man ja auch keine Konsequenzen ziehen.
Keine Ahnung. Ich hab’s jedenfalls erst kapiert, als ich den Beweis direkt vor der Nase hatte.
Wir waren seit fast vier Jahren zusammen, und ich hatte das beruhigende Gefühl, die Suche diesmal endgültig einstellen zu können. Nach drei längeren Beziehungen, einem Heiratsantrag, den ich abgelehnt hatte, und elf Sexualpartnern – darunter immerhin ein farbiger Ausländer – hatte ich mich mit Anfang dreißig frohgemut und erleichtert vom Markt verabschiedet. Kurz bevor ich nervös geworden wäre, hatte ich den Richtigen gefunden.
Unsere Beziehung war nicht perfekt, nicht mal annähernd. Aber wir hatten genau die durchschnittlichen Probleme, die in jedem Ratgeber diskutiert werden. Und das beruhigte mich irgendwie. Er redete ungern über Gefühle, hatte nie Schnupfen, sondern immer gleich eine böse Influenza, wollte im Prinzip gerne Kinder haben, aber später, und hatte auch nichts dagegen, mit mir zusammenzuziehen, aber später.
Wenn du diese Themen im Kreis aufgeschlossener Freundinnen anschneidest, folgt zunächst kollektives Kopfnicken, dann gemeinsames Klagen und schließlich die einstimmige Erkenntnis, dass es einen Defekt in den männlichen Genen gäbe, mit dem man sich abfinden müsse. Daraufhin wird die nächste Runde geordert.
Schlimm ist es um deine Beziehung dann bestellt, wenn deine Freundinnen sofort die nächste Runde bestellen, wenn du ihnen von deinen Problemen berichtest. Das Todesurteil ist, wenn sie eine Weile betroffen schweigen und dann Sachen sagen wie: «Das tut mir so Leid, und ich habe keine Ahnung, was ich dir raten soll.»
Wenn du ein Problem hast, das höchstens in Romanen, nicht aber in Frauenzeitschriften vorkommt, wenn dein Unglück nicht von der Stange ist, dann fühlst du dich ganz schön allein.
Ich denke zum Beispiel mit Schrecken an das entsetzte Gesicht von Silke, als ich ihr erzählte, dass ich Grund zur Annahme hätte, dass mein damaliger Freund Jochen F. regelmäßig das Bordell «Oase» besuchte. Und das, obschon wir erst drei Monate zusammen waren und noch entsprechend häufig Sex hatten. Eine Bekannte von mir, die im Reisebüro gegenüber der «Oase» angefangen hatte, war sicher, ihn mehrmals beim Rein- und Rausgehen gesehen zu haben.
«Das ist die maximale Demütigung!», hatte Silke schockiert gesagt. Noch schlimmer wurde es allerdings, als ich eine halbe Stunde nach unserem Gespräch relativ angetrunken die «Oase» betrat, um mir persönlich ein Bild zu machen. Es war der billigste Schuppen, den man sich überhaupt vorstellen kann. Im Empfangszimmer standen vier ausgefranste Korbstühle auf fleckiger Auslegeware, aus einer Glasschüssel neben Kasse und EC-Lesegerät konnte man sich Gratisbonbons nehmen. Die Empfangsdame, die mich relativ zurückhaltend begrüßte, trug einen kurzen, schwarzen Kimono und weiße Lacklederstiefel, dazu einen etwas zu üppig aufgetragenen Lippenstift, der in die Fältchen um ihren Mund gesickert war. Es sah so aus, als würden ihre Lippen auslaufen. In was für einem Film war ich hier gelandet?
Ich habe mir natürlich immer gewünscht, dass mich mein Leben mal an einen Film erinnern würde. Vorzugsweise an eine dieser romantischen Komödien, in denen sich die Heldin trotz ihrer perfekten Brüste ihre Natürlichkeit bewahrt hat und nach heiterem Wirrwarr in den Armen eines Wirtschaftsmagnaten mit viel Tagesfreizeit endet.
Ich aber stand verbittert in einem Puff mit Gratisbonbons an der Ausfallstraße Richtung Aachen. Dieser Film würde bei einem Sender laufen, den du nicht mal programmiert hast, angeschaut von einer Hand voll Zuschauern, von denen du jeden einzelnen nicht würdest ausstehen können.
Ich tat mir Leid. Und der Dame mit den auslaufenden Lippen
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