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Höhenrausch (German Edition)

Höhenrausch (German Edition)

Titel: Höhenrausch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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meinem Telefonbuch immer noch unter «1» gespeichert war – verschwand ein Stück von mir selbst.
     
    Er hatte sich gegen mich entschieden. Vielleicht hätte ich ihn nicht so unter Druck setzen sollen am Abend der Fußabdrücke. Er hatte mir die Affäre gestanden.
    Und ich hatte tobend folgende Bedingungen gestellt: Er beendet die Geschichte auf der Stelle. Dann lasse ich mich eventuell erweichen, über eine Fortsetzung unserer Beziehung nachzudenken.
    Bei seiner Antwort dachte ich zunächst, ich hätte mich verhört
    «Muss ich mich sofort entscheiden?»
    «Darum würde ich doch sehr bitten!» Was, verdammt, hätte ich denn sonst sagen sollen? «Nein, Schnuffi, lass dir die Kleinigkeit ruhig ein, zwei Monate lang durch den Kopf gehen. Eilt ja nicht»?
    Ich will doch keinen Mann, der Zeit braucht, um sich für oder gegen mich zu entscheiden! Wenn einer nachdenken muss, ob er mich liebt, dann liebt er mich nicht. So dachte ich. Mag sein, dachte ich später, dass ich falsch gedacht habe.
    «Es tut mir Leid, Linda, aber dann ist es wohl aus mit uns.»
    Jetzt bleibt dir nur noch ein guter Abgang, sagte ich mir. Ich trank mein Glas in einem Zug leer.
    «Wir wollen ja nichts verkommen lassen. Tja, dann wünsche ich dir noch einen schönen Lebensabend.»
    Schatz nickte. Schatz schwieg.
    Ich schloss die Tür. Ging nach Hause. Setzte mich auf mein Sofa. Schaltete den Fernseher ein.
    Nina Ruge sagte zu mir: «Alles wird gut.»
    Und das war gelogen.
     
    Mir ging es so schlecht, dass ich anfing, Briefe zu schreiben. In Zeiten, wo man üblicherweise SMS versendet oder Mails mit automatischer Rechtschreib- und Grammatik-Korrektur, ist alles Handschriftliche Zeichen eines außergewöhnlichen Gemütszustands.
    Meine Briefe begannen alle mit «Lieber Draco». Mal legte ich ihm auf fünf DIN-A4-Seiten dar, warum ich niemals aufhören würde, ihn zu lieben, und insofern bereit sei, ihn zurückzunehmen, sobald dieses unwichtige Intermezzo mit der Kollegin Doris aus der Spesenprüfung vorbei sei.
    Ich erklärte ihm, dass es eine durchaus verständliche Reaktion sei, nochmal einen kleinen Ausbruch zu riskieren, wenn man spürt, dass es langsam ernst wird. Insofern sei seine Affäre ein deutlicher Hinweis auf die Ernsthaftigkeit und Tiefe seiner Gefühle mir gegenüber.
    Dann wieder folgten auf «Lieber Draco» seitenlange Beschimpfungen und die Mitteilung, dass ich der glücklichste Mensch der Welt sei, seit ich nicht mehr auf seine schlechten Eigenschaften Rücksicht nehmen müsse. Detailfreudig beschrieb ich ihm seinen mangelhaften Charakter und dass es in meinen Augen mehr braucht, um ein männlicher Mann zu sein, als eine Dauerkarte für «Alemannia Aachen». Ich sagte ihm endlich, wie dämlich es ist, Beziehungsdiskussionen zu beenden mit dem Wort «Sportschau-Zeit». Und ich teilte ihm schwarz auf weiß mit, dass ich stilles Wasser hasse und dass ich ihm nie verzeihen werde, dass er sich das nach vier Jahren immer noch nicht gemerkt habe.
    Mit der Kollegin Doris aus der Spesenprüfung wünschte ich ihm von ganzem Herzen alles Gute und dass er mit ihr so glücklich werde, wie ich es ohne ihn bereits sei.
    Manchmal schrieb ich ihm auch die Wahrheit.
Lieber Draco,
 
weißt du, was das Schlimme ist? Es gibt keine Ablenkung. Egal, was ich tue, egal, was ich sehe: Alles erinnert mich an dich.
Neulich musste ich beim Bäcker beim Anblick von Rosinenbrötchen weinen. Warum? Weil wir niemals zusammen Rosinenbrötchen gegessen haben. So weit ist es gekommen, dass mir jetzt schon die Dinge wehtun, die gar nichts mit dir zu tun haben. Weil mich etwas nicht an dich erinnert, erinnert es mich an dich. Und das heißt: Ich bin nirgends sicher vor dir! Was sollte ich auf den Seychellen? Ich würde dort ständig daran denken, dass wir niemals zusammen dort waren. Das Geld kann ich sparen beziehungsweise sinnvoller in Alkohol, traurige Lieder und stundenlange Telefonate mit Silke investieren.
Weißt du, was mir gestern aufgefallen ist? Die Hintergrundmusik in unserem Supermarkt, der, wo es den Joghurt gibt mit den Cerealien und den Digestivum-Essensis-Kulturen, die die Verdauung anregen sollen. Hast du jemals darauf geachtet, was die einem da für Musik zumuten? Ich wäre fast beim Leergut zusammengebrochen, weil sie «Touch Me in the Morning» von Diana Ross spielten:
«We don’t have tomorrow, but we had yesterday.»
Diese Zeile hat mich schon mit neunzehn fast um den Verstand gebracht, als Thomas M. mich verlassen hatte – und der hatte noch

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