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Höhenrausch (German Edition)

Höhenrausch (German Edition)

Titel: Höhenrausch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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tat ich wohl auch Leid, denn sie fragte nicht unfreundlich: «Was kann ich für Sie tun?»
    Meine Antwort verblüffte mich selbst und wird heute noch gern in meinem Freundeskreis zitiert: «Haben Sie auch Geschenkgutscheine?»
    Wie sich später rausstellte, war Jochen F. nie in der «Oase» gewesen. Meine Bekannte aus dem Reisebüro brauchte einfach nur neue Kontaktlinsen. Jochen F. trennte sich kurz danach von mir, weil er es eine Unverschämtheit fand, dass ich mir erstens vorstellen konnte, dass er überhaupt in den Puff ging und zweitens auch noch in einen so heruntergekommenen wie die «Oase».
     
    Mit Draco gab es solche ungewöhnlichen Probleme nicht. Ich war zwar nicht vollends begeistert von unserer Beziehung, aber ich war vollends zufrieden. Ich hatte mich sozusagen im Vorort meiner Idealvorstellung niedergelassen. Und ich konnte mir durchaus vorstellen, mein Leben lang da zu bleiben.
     
    Das änderte sich schlagartig, als ich ihre Füße sah. Nun, eigentlich waren es ihre Fußabdrücke.
    Es war ein regenfeuchter Nachmittag, und ich hatte im Auto neben meinem Freund Platz genommen.
    Ich versuchte, etwas durch das beschlagene Seitenfenster zu erkennen – bis ich langsam begriff, was ich da sah: einen Fußabdruck. Genauer: zwei Fußabdrücke. Noch genauer: zwei Abdrücke von nackten und noch dazu relativ kleinen Füßen!
    Mit dir hat er sich das nie getraut, dachte ich. Und dann dachte ich nichts mehr. Sondern hörte mich nur noch mit eiskalter Stimme sagen: «Schatz, was würdest du sagen, von wem diese Fußabdrücke wohl stammen?»
    Schatz antwortete nicht. Stattdessen drehte er hektisch das Gebläse auf die höchste Stufe. Die Fußabdrücke verschwanden innerhalb weniger Sekunden. Aber ich sah sie trotzdem noch. Ich sehe sie bis heute.
    Mir war klar, dass es keine harmlose Erklärung geben konnte. Selbst ein Mann mit mehr Phantasie hätte sich bei dieser Indizienlage schwerlich rausreden können. Fast wünschte ich, ihm würde etwas Originelles einfallen, etwas, was ich glauben könnte. Soll er mir doch eine Geschichte auftischen, von der ich weiß, dass sie erlogen ist, mit der ich aber in relativer Würde weiterleben und weiterlieben kann.
    Schatz fiel aber nichts ein. Schatz schwieg weiter. Dann sagte er: «Lass uns bei mir darüber reden.»
    Waren die folgenden Minuten die schlimmsten meines Lebens? Oder waren sie nur die miese Einleitung für noch viel miesere Monate, Jahre, Dekaden? Ich saß starr neben ihm und fühlte, wie mein Herz zerriss.
    Nicht so, wie man einen unerwünschten Werbezettel zerreißt oder einen Brief, über den man sich geärgert hat. Es war nicht dieser Pflasterschmerz, von dem man weiß, dass er einmal heftig aufblitzt und dann endgültig vorbei ist. Nein, ich sah mir beim Verbluten zu, so kam ich mir vor.
     
    In den nächsten drei Monaten ließ ich keine Möglichkeit aus, mich komplett zum Deppen zu machen. Ich tat exakt das, was man nicht tun soll. Gerne auch mehrfach. Und, ich muss das zugeben, leider nicht immer in alkoholisiertem Zustand.
    Jede meiner Freundinnen versuchte, mich davon abzuhalten, redete stundenlang auf mich ein, entwickelte ausgeklügelte Ablenkungsprogramme und stellte mich sämtlichen ihr bekannten Junggesellen aus dem Großraum Jülich vor. Das half aber nichts. Natürlich nicht. Das hilft ja nie.
    Ich brauchte das volle Programm des Sichdemütigens, der Selbsterniedrigung, des «Können wir nicht nochmal drüber reden?». Gibt es nicht ein Lied mit dem Titel «Fifty Ways to Leave Your Lover»? Nun, wenn es fünfzig Wege gibt, deinen Lover zu verlassen, dann hatte ich mindestens siebzig Wege gefunden, zu ihm zurückzukriechen. Und dabei handelt es sich um eine konservative Schätzung. Ich verlor meine Würde in dieser Zeit öfter, als ich in meinem ganzen Leben meinen Haustürschlüssel verloren habe. Und darin macht mir so leicht keiner was vor.
    Was soll ich zu meiner Rechtfertigung sagen? Nichts. Außer: Ich habe es nicht geschafft, das Ende zu akzeptieren. Mich darauf zu konzentrieren, alles zu tun, um mein Leid nicht unnötig zu verlängern. Ich habe es nicht geschafft, die Hoffnung aufzugeben. Keine SMS zu schicken. Und zwar von der Sorte, die man in der Sekunde zurückholen möchte, in der man sie abgeschickt hat.
    Wenn ich bei meinem Handy «Nachricht senden» drücke, erscheint ein Briefumschlag, der sich schließt, um die Weltkugel fliegt und hinter ihr verschwindet. Mit jedem verschwindenden Umschlag – adressiert an den Mann, der in

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