Höhenrausch (German Edition)
nicht mal eine andere, was die Sache fast noch schwerer zu ertragen machte.
Aber bis du eine Neue hast, könntest du doch auch bei mir bleiben!
Das hatte ich damals tatsächlich gedacht. Und ich fürchte, ich habe das womöglich in einem unbewachten Moment auch zu ihm gesagt.
Kinderschokolade esse ich jetzt übrigens gar nicht mehr. Was einerseits natürlich daran liegt, dass sie mich an unsere erste Zeit erinnert. Die Zeit, als jede Begegnung zwischen uns noch ein Fest war. Schokolade in der Küche und Rosé-Champagner im Bett. Reden bis zum Sonnenaufgang. Man muss sich ja zwei komplette Leben erzählen, sich einander vertraut machen, Körper erkunden und Vergangenheiten, Kinderfotos und Plattensammlungen anschauen.
Sich erst wundern über Eigenschaften und dann entscheiden, sie mitzulieben. Ich habe dir Senfeier gekocht, die ersten meines Lebens, weil du sagtest, sie würden dich an zu Hause erinnern. Und ich wollte doch dein Zuhause sein.
Alles war außergewöhnlich. Auch mein Kalorienkonsum. Zwischendurch habe ich immer versucht, das wieder runterzuhungern, was ich an den Abenden mit dir zugenommen hatte. Auf Dauer ist das ja nicht wirklich gelungen. Weil die Abende mit dir keine Ausnahme mehr waren. Statt Rosé-Champagner im Bett tranken wir später Weißweinschorle vorm Fernseher. Nur mein Schokoladenpensum hat sich nicht mit reduziert, zumal ich im Laufe des zweiten Jahres den Eindruck hatte, du würdest mich auch mit ein paar Kilos mehr am Leib lieben. Hast dich ja nie beschwert. Ich mich dafür allerdings umso mehr.
So ist das eben. Entweder man trennt sich beizeiten, oder es wird halt gewöhnlich. Aber weißt du, ich mag gewöhnlich. Und ich finde es schöner, wenn man sich gemeinsam mit jemandem an die erste aufregende Zeit erinnert, als ständig neue aufregende Zeiten zu erleben. Auf die kann man nämlich mit niemandem gemeinsam zurückblicken.
Jetzt muss ich mich allein erinnern. Und das tut mir weh, in jedem einzelnen Moment. Ich hatte fast vergessen, wie lange Sekunden und Minuten dauern können. Ewig.
Ach ja, die Schokolade. Der zweite Grund, warum ich keine mehr esse, ist, dass mit dir auch der Hunger aus meinem Leben verschwunden ist. Das hat den Vorteil, dass ich jetzt wieder so viel wiege, wie als ich anfing, mit dir Schokolade zu essen. Der Nachteil ist nur, dass ich mich nicht darüber freuen kann.
Warum schlank sein, wenn du mich nicht berührst? Warum gut aussehen, wenn du mich nicht siehst? Kannst du dir vorstellen, dass ich mit Idealgewicht – verzeih mir bitte diesen dehnbaren Begriff – traurig auf der Waage stehe? Kannst du dir vorstellen, dass ich in Restaurants jetzt freiwillig Salat mit Hähnchenbruststreifen und ohne Brotkorb bestelle und davon die Hälfte wieder zurückgehen lasse? Kannst du dir vorstellen, dass ich morgens um vier meine Wohnung putze, weil Kummer im Liegen noch viel schlechter zu ertragen ist?
Kannst du dir vorstellen, dass ich mir nicht vorstellen kann, ohne dich zu sein?
Wahrscheinlich nicht.
Deine Linda.
Das wirklich Gute an diesem und den vielen anderen Briefen an Draco war, dass ich sie niemals abgeschickt habe.
«WENN DU HIER KEINEN ABSCHLEPPST, SCHAFFST DU ES NIRGENDWO»
Es gibt verschiedene Theorien über den Liebeskummer und seine Bewältigung. Und ich habe mich mit allen ausführlich beschäftigt. Männer zählen meist zur Gruppe der «Ablenker», während die weibliche Strategie eher als konfrontativ zu beschreiben ist. Alle Theorien sind in einem Punkt gleich: Das Einzige, was die Wunden heilt, ist:
die Zeit – wenn du Pech hast. Oder
eine neue Liebe – wenn du Glück hast.
Erdal meinte, ich solle das eine mit dem anderen verbinden: mir die Zeit durch angenehme Ablenkungen verkürzen und gleichzeitig beste Bedingungen schaffen, um «potenzielle Lebenspartner zu casten», wie er es nannte.
Wir kannten uns keine zwei Wochen, als er sich nach einem Besuch bei seiner Mutter im tiefsten Berliner Westen mit bedeutsamem Blick auf mein Sofa plumpsen ließ.
«Linda, ich bringe Heilung. Wir fahren in einen Single-Club!»
«Du bist kein Single, Erdal. Und für mich bevorzuge ich die Bezeichnung ‹derzeit getrennt lebend›. Wie kommst du überhaupt auf die Club-Idee?»
«Karsten ist nächste Woche für vier Tage auf Fortbildung. Du hast Liebeskummer, und wie das Schicksal manchmal so spielt, habe ich eine Cousine, die vor ein paar Monaten stellvertretende Chefin eines Single-Clubs in der Türkei geworden ist. Das Durchschnittsalter ist
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