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Höhenrausch (German Edition)

Höhenrausch (German Edition)

Titel: Höhenrausch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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unflätig fluchte.
    Wer die monsterhaft großen Berliner Müllcontainer kennt, weiß, dass ich nicht nur vor einer verschlossenen Haustür stand, sondern vor einem nahezu unlösbaren Problem: Wie willst du Müll durchsuchen, der dir bis zur Stirn reicht?
    Ich stehe hilflos vor dem Container, der zum Hineinklettern zu hoch ist und zum Umkippen zu schwer.
    Alles in allem eine mich nachdenklich stimmende Situation: kein Schlüssel, kein Geld, kein Handy, keine Freunde, kein Lebenspartner, kein Haustier, kein Kind, keine Aussicht auf eine solide Rente, keine Bauchmuskulatur.
    Glückwunsch! Ich bin wirklich das, was man eine moderne und unabhängige Frau nennt.
     
    «Darf ich Ihnen vielleicht helfen?» Ein Mann mit Mülltüte steht neben mir.
    «Ich fürchte nein.»
    «Haben Sie mir neulich nicht mit Kaffee ausgeholfen? Ist etwas passiert?»
    «Ich habe aus Versehen meinen Schlüssel weggeworfen. Wissen Sie, wann die Container geleert werden?»
    «Morgen früh gegen viertel nach sechs. Das weiß ich leider so genau, weil ich nach vorne raus schlafe. Es ist jedes Mal so, als würde der Müllwagen auf meiner Matratze halten.»
    «Wären Sie so nett, mich ins Haus zu lassen?»
    «Aber selbstverständlich.»
    Ich trotte hinter ihm her bis zu seiner Wohnung.
    «Vielen Dank für Ihre Hilfe und gute Nacht.»
    «Sie glauben doch wohl nicht, dass ich Sie hier im Treppenhaus sitzen lasse. Wie wäre es, wenn wir in der Nähe was trinken gehen. Sie haben keine Bleibe, ich keinen Weißwein im Kühlschrank. Das ergänzt sich doch perfekt, oder?»
    «Geht so. Ich habe nicht nur keine Bleibe, sondern auch keinen Mantel und kein Geld.»
     
    Ich weiß ja nicht, wie es anderen geht, aber verheiratete Männer kommen für mich prinzipiell nicht infrage. Ich muss allerdings zugeben, dass das weniger an meinem hohen moralischen Standard liegt. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ein Mann seine Frau mit mir betrügen würde.
    Nein, das ist nicht kokett gemeint und hat auch nichts mit einem geringen Selbstbewusstsein zu tun. Ich weiß mittlerweile einfach ziemlich genau, was ich kann und was nicht.
    Ich kann gut Englisch, und ich kann gut kochen. Ich kann gut Briefe schreiben, und wenn es sein muss, kann ich sogar gut auf Kohlehydrate verzichten. Was ich definitiv nicht kann, ist gut rechnen, elegant auf hohen Schuhen gehen und ergebnisorientiert flirten.
    Ich habe es zu oft in Filmen, auf Barhockern und an Nebentischen gesehen: wie Frauen sich mit der Zunge über die Lippen fahren, die Brust rausstrecken – ob vorhanden oder nicht, sich durchs Haar streichen und ihre Augen aufreißen wie Garagentore für Geländewagen.
    Ich habe zu oft gesehen, wie es funktioniert und dass es funktioniert. Und ich bringe es einfach nicht über mich, es genauso zu machen. So, wie ich auch nur sehr ungern jemandem etwas schenke, was der sich vorher ausdrücklich gewünscht hat. Ich mag das nicht. Ich komme mir doof dabei vor. Wie bestellt und abgeholt. Es ist so einfach. Und einfach hab ich einfach nicht so gern.
     
    «Ich muss Ihnen ein großes Kompliment machen, Linda. Es ist unglaublich charmant, wie Sie mich mit großen Augen all diese Dinge fragen.»
    Höre ich nicht richtig? Was redet der Typ da? Was meint er mit «Dinge»? Und vor allem: was für «große Augen»?
    Mein neuer Nachbar heißt Johann Berger. Er schaut, als hätte er mich durchschaut. Er tut so, als hätte ich ein Geheimnis zu verbergen, das er durch besonders genaues Hinsehen entdeckt hat.
    Ehrlich gesagt war es immer mein Wunsch, etwas zu verbergen zu haben. Gab bloß nie was. Ich habe mir immer ein Geheimnis gewünscht, aber ich hatte immer nur die Geheimnisse anderer Leute.
    Die Affäre zwischen Anne und Christian zum Beispiel. Ein halbes Jahr lang musste ich für die beiden Schmiere stehen. Musste allein in unzumutbare Filme gehen, bloß damit Anne ihrem Mann am nächsten Tag erzählen konnte, was wir gesehen hatten.
    An anderen Abenden durfte ich nicht vor die Tür, weil Anne zu Hause erzählt hatte, ich läge mit schlimmer Migräne danieder und sie würde mich pflegen, was eventuell bis zum Morgen dauern könne.
    Dann wiederum musste ich mir halbe Nächte aushäusig um die Ohren schlagen, weil die beiden es satt hatten, sich immer nur im Hotel zu treffen, und in meiner Wohnung ein bisschen Alltag simulieren wollten: kochen, vor dem Fernseher essen und zweifelhafte Flecken auf meinem Sofa hinterlassen, von denen Anne bis heute behauptet, es sei Carbonara-Soße.
    «Wenn du

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