meine.
Von: Andreas Szabo
Betreff: RE: RE: RE: Neues von der Haseninsel
Datum: 18. Oktober 23 : 38 : 56 MESZ
An:
[email protected] Liebe Linda,
ich habe die Stelle gefunden:
«Ich will, dass mich alles was angeht. Ich will nichts auslassen, und ich will mir nichts einreden, ich nehme jede Verzweiflung an – wenn die Leute doch richtig verzweifelt sein könnten. Ich will mein Leben nicht billig haben, ich will auch die Liebe nicht billig haben, und für das, was mir fehlt, will ich keinen Ersatz.»
Das gefällt mir. Sehr vernünftig auch, dass die Frau sagt, sie wolle keinen Ersatz für das, was ihr fehlt. Das ist übrigens genau das Gegenteil von dem, was du gerade machst.
Viel Spaß beim Yoga!
Andreas
Von: Linda Schumann
Betreff: Re: Re: Re: Re: Neues von der Haseninsel
Datum: 18. Oktober 23 : 45 : 01 MESZ
An:
[email protected] Blöder Besserwisser! Erwäge Mieterhöhung.
Linda
«TREFFER! VERSENKT!»
Ich muss sagen, dass mir Yoga nicht so wahnsinnig viel gibt. «Erfühlt eure Körpermitte, indem ihr euch auf eure inneren Schwingungen konzentriert», hatte die Trainerin gesagt. Zu diesem Zweck sollten wir bitte alle brummen.
Mir persönlich war das peinlich, und ich zog es vor, einigermaßen lautlos in mich hinein zu brummen. Erdal hingegen gab sich direkt neben mir der Sache total hin. Er brummte so laut wie sein Nasenhaarschneider auf höchster Stufe.
Es hatten sowieso schon alle geguckt, als er mit seinen knielangen Shorts einmarschierte, auf denen tropische Sonnenuntergänge und Palmen abgebildet waren. Im Grunde eine als Hose verkleidete Fototapete, wie man sie aus Bräunungsstudios kennt.
Vor mir brummte Heiner aus Bayreuth, den ich auf dem Club-Schiff kennen gelernt hatte. Der schönste Teil des Ausflugs war die Rettungsübung «Mann über Bord». Der Kapitän erklärte uns, dass man die Position des Ertrinkenden am besten mit einem schwimmenden Gegenstand markieren solle.
Eine ältere Dame rief dazwischen: «Also, Herr Kapitän, wenn das mein Mann wäre, der da über Bord geht, würde ich den Fernseher hinterherschmeißen und rufen: Treffer! Versenkt!»
Ich lachte. Ihr Mann nicht.
Heiner erschien mir harmlos und irgendwie rührend: sicher weit über sechzig, weißhaarig, gemütlich beleibt und mit dem gütigen Gesicht der Opas, die im Fernsehen für Treppenlifte und Kreuzfahrten werben. Er wirkte etwas verloren zwischen all den paarungswilligen jungen Leuten. «Zu dem kannst du nett sein», sagte ich mir. «Der ist lieb und lebt nicht mehr lange.»
Ich hatte das gute Gefühl, ein gutes Werk zu tun, als wir uns abends an der Bar verabredeten. Heiner begann sogleich von seiner künstlichen Hüfte und seiner Tochter zu berichten – beide ungefähr in meinem Alter.
Als er mich zum Tanzen aufforderte, verfluchte ich innerlich die Fortschritte der modernen Medizin, die es Menschen mit künstlichen Hüften möglich macht, auf «In da Club» von 50 Cent zu tanzen. Standardtanz natürlich, zwei links, zwei rechts und alle zwanzig Sekunden eine Drehung.
Und dann fing Heiner an zu fummeln. Ich dachte, mich trifft der Schlag: ein Lustgreis!
Warum muss sich der wahrscheinlich älteste jemals registrierte Gast der Club-Geschichte ausgerechnet an mir vergreifen?
Während ich mich verzweifelt fragte, ob ich das hier meinen Freundinnen überhaupt erzählen könnte und was das eigentlich über mich und meine Ausstrahlung aussagt, schob ich Heiners Hände auf meine Hüften zurück. Was er seltsamerweise als aufmunternde Geste wertete.
«Du wirst schon noch sehen: Auf alten Schiffen lernt man gut segeln», raunte er mir an seinen dritten Zähnen vorbei ins Ohr. «Gestern bin ich zwar nass geworden, aber keine Bange, das passiert mir nicht nochmal.»
«Bitte?»
«Die Liegen auf der Sonnenwiese sollte man nachts meiden wegen der …»
«… Rasensprenger, ich weiß. Verzeih bitte, Heiner, aber ich kann bereits segeln.»
Und nun lag er brummend auf dem Rücken wie eine Hummel im Marmeladenglas. Heiner, der gierige Greis! Bei der Yoga-Übung «Glücklicher Seehund» – man muss die Fußsohlen gegeneinander patschen, als würde man applaudieren – glaubte ich, seine künstlichen Gelenke rappeln zu hören. Ich brach die Stunde vorzeitig ab und stürzte mich ins Meer.
«NUKLEARSPRENGKOPF»
Ich wachte früh auf an meinem letzten Urlaubstag. Ich hatte mir Andreas’ Rat zu Herzen genommen: aufstehen, bevor die Erinnerungen anfangen, einen zu