Höhenrausch (German Edition)
aufschloss. Seine Antwort: «Entschuldigen Sie, aber wer ist eigentlich Michelle Hunziker?»
«RUNZLIGE KNIEKEHLEN – EIN VERNACHLÄSSIGTES RANDGEBIET»
Neben mir liegt ein Mann, den ich sieze. Irgendwie sind wir gestern Nacht nicht mehr dazu gekommen, uns das Du anzubieten. Oder duzt man automatisch Leute, nachdem man mit ihnen im Bett war? Ich bin mir da nicht ganz sicher, was das Protokoll angeht.
Ich betrachte meinen fünfunddreißig Jahre alten Körper im fahlen, unvorteilhaften Morgenlicht und muss sagen, dass der an manchen Stellen wirklich nicht jünger aussieht, als er ist.
Natürlich kennen wir alle die offensichtlich von Alterung zuerst betroffenen Regionen wie Augenpartie, Hals, Brust und Dekolleté – welches in meinem Fall ja ganz besonders früh dran glauben musste.
Es gibt aber noch andere, unvermutete Stellen, wo sich die Vergreisung unaufhaltsam ausbreitet. Runzlige Kniekehlen zum Beispiel sind ein vernachlässigtes Randgebiet. Oder Fersen, die aussehen, als seien sie mit jahrhundertealtem Pergament umwickelt. Und dann diese kleinen Wülste zwischen Brust und Achselhöhle, die man schon schrecklich fand, bevor sie zusehends erschlafften.
Ist das nicht vollkommen absurd, dass man sich als Frau sogar dann verwelkt vorkommt, wenn man neben einem Typen aufwacht, der zwölf Jahre älter ist als man selbst? Ich könnte wetten, dass selbst die hoffentlich schon achtzehnjährigen Models, die neben Flavio Briatore im Bett liegen, sich Gedanken machen, ob sie von irgendwas zu wenig haben. Und damit meine ich nicht ihren Verstand.
Warum haben schmerbäuchige Greise und komplett erschlaffte Mittvierziger so ein freches Selbstbewusstsein? Während du noch überlegst, wie du nackt, aber dennoch einigermaßen würdevoll die Badezimmertür erreichen könntest – und zwar am besten, ohne dass er dich von hinten sieht –, sitzt er schon mit sich stapelnden Bauchfalten auf der Bettkante und zieht sich pfeifend die Socken an.
Bei der Gelegenheit wird meist auch das eindeutig bestätigt, was man im Dunkeln nur vermuten konnte: Steißbehaarung! So nennt man unter Fachleuten die Haare, die am unteren Ende des Rückens wachsen – gerne korrespondierend mit Haaren, die am oberen Ende des Rückens wachsen.
Ich meine, ist das zu glauben? Du zupfst dir sogar die Augenbrauen, damit sie nicht zu wild wuchern – da kommt es auf jedes Härchen an –, und er trägt das unkleidsame Haar gleich büschelweise mit sich herum.
Da fragst du dich schon, warum er dir diesen Anblick nicht erspart. Warum schämt der sich nicht? Warum ist er so derartig mit sich im Reinen? Warum bückt er sich nackt beim Kücheaufräumen, obschon ihr euch kaum kennt und er eigentlich nicht davon ausgehen dürfte, dass du ihn so liebst, wie er ist?
Du ärgerst dich, weil er sich selbst offenbar ebenso liebenswert findet wie du ihn, aber du dich selbst mal wieder nicht. Positives Körperbewusstsein ist ein ebenso ungerecht verteiltes Gut wie Erdöl.
Männern ist es ja auch zum Beispiel deshalb überhaupt nicht wichtig, am Morgen danach als Erster aufzuwachen. Die pennen lieber noch ’ne Runde. Mir persönlich sind nicht wenige Frauen bekannt, die sich nach der ersten Nacht, während er noch schlief, hurtig ein komplett neues Make-up aufgelegt und sich mit seinem Rasierer schnell Beine und Bikinizone nachrasiert haben.
Als ich Andreas von diesem weit verbreiteten Verhalten schrieb, erklärte sich ihm schlagartig der eine oder andere Rasurbrand der vergangenen Jahre.
Johann Berger ist siebenundvierzig. Auf seinem Handrücken glaube ich gestern Abend erste Altersflecken gesichtet zu haben. Er hat grau-blonde Schläfen, zwei tiefe Längsfalten neben seinem Mund und etwas schrumpelige Kniescheiben – eine unterschätzte Problemzone, wo sich genaueres Hinsehen immer lohnt.
Aber mich stört das alles nicht, denn wenn du jemanden magst, siehst du ihn immer in mildem, vorteilhaftem Kerzenlicht oder erleuchtet von zwanzig Watt Soft-tone-orange-Glühbirnen, die jeden aussehen lassen wie Prinzessin Diana, fotografiert von Mario Testino.
Schade, dass wir uns selbst statt im Prinzessinnenlicht im Suchscheinwerfer sehen, wo jede Pore wie ein Krater aussieht und jedes Fältchen wie ein verdorrtes Tal des Todes.
Wir hadern mit Gegenden unseres Körpers, von denen Männer noch nicht einmal wissen, dass sie existieren.
«TRAU KEINEM MANN, MIT DEM DU GERADE DIE NACHT VERBRACHT HAST»
Frauen beschäftigen sich mit zwei Fragen unnötig
Weitere Kostenlose Bücher