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Höhenrausch (German Edition)

Höhenrausch (German Edition)

Titel: Höhenrausch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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Alltag spielen willst», hatte ich ihr gesagt, «dann dürftest du eigentlich gar keinen Sex haben – und schon gar nicht auf dem Sofa.»
    Natürlich hatte ich in regelmäßigen Abständen an Annes nicht vorhandenes schlechtes Gewissen appelliert und sie an ihren armen Ehemann erinnert, eine treue Seele, die sich ihr gegenüber nie etwas hatte zuschulden kommen lassen. Aber verliebte Frauen sind eben komplett beratungsresistent, und es kam, wie es kommen musste: Die Affäre flog auf. Allerdings die ihres Mannes.
    «Wie war’s denn gestern?», hatte sie ihn desinteressiert gefragt, nachdem sie den Abend offiziell mit mir verbracht hatte. «Wart ihr nach dem Meeting noch was trinken?»
    «Ja, wir haben diese neue Bar ausprobiert.»
    Anne wurde plötzlich hellhörig.
    «Du meinst das ‹Lola›?»
    «Genau. War toll und ist ziemlich spät geworden. Du hast schon geschlafen, als ich nach Hause kam.»
    Der arme Kerl konnte natürlich nicht ahnen, dass Anne mit ihrem Liebhaber ebenfalls ins «Lola» gehen wollte, der Laden aber wegen eines Wasserschadens geschlossen war.
    Es war interessant zu beobachten, was für einen Wahnsinnsaufstand Anne machte, als sie aus ihrem Mann herausgequetscht hatte, dass er sie seit einem halben Jahr mit einer Siebenundzwanzigjährigen betrog.
    Nichts ändert sich so schnell wie die Einstellung eines Menschen zur Untreue, wenn er feststellt, dass sie auf Gegenseitigkeit beruht.
    Sanfte Hinweise meinerseits, dass Anne mit zweierlei Maß messe, ignorierte sie völlig. Auch verletzte Frauen sind komplett beratungsresistent.
    Zum Glück haben sich die beiden wieder zusammengerauft.
    «Seit ich weiß», sagt Anne, «dass Christian imstande ist, mich zu betrügen, habe ich viel größeren Respekt vor ihm. Nichts macht einen Mann auf Dauer so unattraktiv wie die Vorstellung, dass er unfähig zur Untreue ist. Unsere Beziehung läuft seither besser denn je.»
     
    Johann Bergers Blick vergräbt sich in meine Augen, und ich bin jetzt selbst geneigt, sie für besonders groß zu halten.
    Allmählich wird mir klar, was der Mann gerade tut: Er versucht mir einzureden, ich würde mit ihm flirten. Das ist raffiniert. Erstens gibt er mir so das durchaus angenehme Gefühl, ich sei verführerisch, ohne es zu wollen. Und zweitens gibt er sich so das durchaus angenehme Gefühl, er sei verführt worden, ohne es zu wollen. Hinterher, sollte es ein Hinterher geben, würde keiner Schuld haben.
    Und wie es bei richtig guten Taktiken immer ist, funktionieren sie selbst dann, wenn man sie durchschaut hat.
    Es versteht sich ja von selbst, dass sich mein Prinzip des grundlegenden Desinteresses an verheirateten Männern schlagartig ändert. Zeigt ein Mann Interesse an mir, halte ich das für eine derart herausragende und menschlich wertvolle Eigenschaft, dass so Winzigkeiten wie Familienstand keinerlei Gewicht mehr haben.
    Ich lächele, als hätte ich ein Geheimnis, das Johann Berger noch entschlüsseln könnte. Ich versuche, meinen Augen die Rätselhaftigkeit des Da-Vinci-Codes zu verleihen – oder sagen wir zumindest der Hunderttausend-Euro-Frage bei «Wer wird Millionär?».
    Das Spiel beginnt. Und ich habe kein Interesse mehr, mich zu fragen, ob dieses Spiel für die Beteiligten gut ausgehen kann.
    Denkst du an das Ende, wenn dich gerade der Anfang begeistert? Es heißt, bis zu einem bestimmten Punkt des Geschehens hätte man die Wahl, aber das hier ist eine Herausforderung, nein, schlimmer: eine Provokation des Schicksals. Lässt du dich provozieren? Du hast immer die Wahl, das glaube ich auch. Und genauso oft glaube ich es auch nicht.

«ZUM SCHMUTZIGEN HOBBY»
    Ich habe höchstens drei Stunden geschlafen, aber ich bin so wach wie lange nicht mehr. Mir fehlt nichts. Nicht sein vertrautes Atmen, nicht sein vertrauter Geruch, nicht die vertrauten Umrisse seiner Schultern und nicht das vertraute Gefühl, neben jemandem aufzuwachen, der einem vertraut ist.
    Hier ist alles fremd, so wie ich mir selbst. Sehr ungewöhnlich. Ich bin mir gern fremd, stelle ich fest. Es macht mir weniger Angst, als ich gedacht hätte. Ich komme mir vor, als hätte ich mich gerade erst kennen gelernt, als könne ich mich noch überraschen.
    Die Flügeltüren zum Wohnzimmer sind offen. Auf dem Couchtisch stehen zwei halb volle Gläser – und sofort weiß ich, was ich dachte, als Johann Berger mich zum ersten Mal küsste.
    Natürlich weiß ich noch, was ich dachte. Ist ja nicht so, dass ich so oft zum ersten Mal geküsst werde, dass ich da

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