Höhenrausch (German Edition)
irgendwas durcheinander bekommen könnte. Ich dachte: «Egal, was jetzt noch passiert, egal, wie diese Geschichte weitergeht, und egal, wie sie ausgeht: Allein für diesen Moment hat sich alles gelohnt!»
Erste Küsse sind ja alles entscheidend. Und können wahnsinnig enttäuschend sein, wenn der, in den man sich verlieben will, küsst wie ein Anfänger, von dem man sofort weiß, dass er es niemals lernen wird. Und wie groß ist die Erleichterung, wenn es funktioniert, dieses verdammte Küssen, bei dem ja auch wirklich verdammt viel schief gehen kann.
Du vergisst nie, wenn es einer dieser Küsse ist, die man noch in den Fußspitzen fühlt, die den ganzen Körper in Ausnahmezustand versetzen und bei denen du herausfindest, dass es so etwas tatsächlich gibt: «weiche Knie».
Ab diesem Moment wusste ich, dass ich auf Johann Bergers Anrufe warten, seine SMS mit Herzrasen öffnen und die Nacht, in der ich ihn zum ersten Mal geküsst hatte, genauso oft verfluchen wie verherrlichen würde.
Ich wusste, was mir bevorstand.
Und natürlich gab es trotzdem kein Zurück.
Johann Berger und ich hatten den Abend in der Bar «Zum schmutzigen Hobby» begonnen. Als wir am Tresen Platz nahmen, war ich einigermaßen unentspannt, was sich noch verstärkte, als wir einen Blick in die Getränkekarte, wo neben anderen sexistischen Drinks ein «Blow Job» mit Wodka und Wick Blau angeboten wurde. Herr Berger passte ins «Schmutzige Hobby» wie eine Nutte in den Vatikan. Er trug einen tintenblauen Nadelstreifenanzug mit Weste und Schuhe, in denen man sich spiegeln konnte. Mehr als ungewöhnlich für den Prenzlauer Berg, wo der so genannte Vintage Look Pflicht ist. Vintage heißt, man kauft alte Sachen, die teurer sind als neue Sachen.
Herr Berger, erfuhr ich, ging nicht nur einer geregelten Tätigkeit nach, sondern hatte als Teilhaber einer Consulting-Firma in Kiel eine Führungsposition inne und zählte, wie er sich ausdrückte, «zu den Top-Entscheidern dieses Landes».
«Wir beraten europaweit Firmen bei Innovationen, Expansionen, Kooperationen und Fusionen.»
Ich war hingerissen von so vielen Fremdwörtern in einem Satz. Was mich natürlich besonders hellhörig machte, war Johann Bergers Herkunft. War das Schicksal oder Zufall?
«Stammen Sie aus Kiel?», fragte ich so absichtslos wie möglich.
«Jawohl, in vierter Generation.»
Nun, ich bin in Geographie eine Niete und auf verbindliche Aussagen, wie die Hauptstädte von Estland, Lettland und Litauen heißen, würde ich mich lieber nicht festnageln lassen. Was ich aber sicher weiß, ist, dass Kiel am Meer liegt. Wie hatte ich nur glauben können, das Aquarium von Draco sei ein Zeichen gewesen? Ich hatte mich da auf eine falsche Fährte locken lassen. Hier saß er ganz eindeutig vor mir: der Mann vom Meer!
Gerade war ich total ergriffen, als vor uns ein Transvestit im Abendkleid auf den Tisch sprang und ins Mikrophon brüllte: «Liebe Tunten, Schwuletten und andere Gäste, es ist Zeit für unser allwöchentliches Glamour-Quiz! Ich stelle euch jetzt zwanzig Fragen zum aktuellen internationalen Klatsch und Tratsch, und ihr notiert die Antworten bitte auf dem Zettel, den ihr am Eingang bekommen habt. Wer die meisten richtigen Antworten hat, gewinnt wie immer eine Flasche Champagner und den Titel der ‹Fabulous Trash-Queen of the Week›!»
Es war geradezu entwürdigend, was Johann Berger alles nicht wusste. Ich meine, womit beschäftigt sich der Mann den ganzen Tag? Er murmelte immer wieder entschuldigend, dass solche Themen in der «Financial Times» und auch im «Handelsblatt» tatsächlich etwas zu kurz kämen.
Gut, es waren ein paar knifflige Fragen dabei, für die man schon länger ein aufmerksamer Beobachter des internationalen Jetsets sein musste. Der Vorname des unehelichen Sohnes von Prinz Albert von Monaco? Wie heißt das Schwein von George Clooney und wie der derzeitige Lebensgefährte von Paris Hilton?
Es war geradezu entwürdigend, was ich alles wusste. Nämlich alles. Und da ich Johann Berger alles vorgesagt hatte, verließen wir die Lokalität «Zum schmutzigen Hobby» mit einer Flasche Champagner und dem zweifelhaften Titel «The Fabulous King and Queen of Trash».
Immerhin hatte ich den Eindruck, dass Johann Berger in seinem länglichen Dasein bisher noch nichts Vergleichbares erlebt hatte. «Ich kann nicht glauben, dass Sie nicht wissen, mit welchem Sänger Michelle Hunziker verheiratet war», sagte ich noch immer ungläubig, als er die Haustür
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