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Höhenrausch (German Edition)

Höhenrausch (German Edition)

Titel: Höhenrausch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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Inhalt ist wichtiger als Optik.
    Es gab tatsächlich einen Kandidaten, der mich treffen wollte. Dem habe ich aber erst gar nicht geantwortet. Es gab kein Foto von ihm, und ich fand sein Pseudonym absolut indiskutabel. Wer nennt sich denn schon «Nuklearsprengkopf»?
    Und du?
    Solltest du dich gerade mit meiner Nachbarin Ina in meinem Bett von deinem Kummer ablenken, erhöhe ich die Miete um einhundert Prozent!
    Ich kann dir nämlich jetzt schon sagen, wie das ausgehen wird: Ina wird sich in dich verlieben, egal wie du aussiehst. Das tut sie nämlich immer. Erst wird sie dir selbst gemachtes Kompott schenken und dir dann im Flur auflauern, um dich mit ihren überschäumenden Gefühlen bekannt zu machen. Du wirst dir noch wünschen, du hättest das Treppenhaus selbst geputzt.
    Aber du hast es nicht besser verdient, Chauvinisten-Schwein. Wer sich auf unsere Kosten ablenkt, der soll auch dafür zahlen.
    Ich bin übrigens betrunken, und du darfst mir nichts übel nehmen. Habe gerade mal wieder deine verbotenen Lieder komplett durchgehört. Spinnst du, mir so was zu schicken? Da brauche ich ja Wochen, um das zu verarbeiten! Würde ich nicht schon Liebeskummer haben, hätte ich jetzt garantiert welchen. Habe schon beim zweiten Titel – «Sometimes I Feel Like a Motherless Child» von Van Morrison – schluchzend zum Vino tinto gegriffen. Sollte es stimmen, dass man Schmerz schneller loswird, indem man ihn absichtlich verstärkt, dann ist meiner morgen weg.
    Mann, bin ich einsam. Sonntagabende sind meiner Empfindung nach für uns Alleinstehende aber auch immer besonders schwer zu bewältigen. Da bleibt man traditionellerweise zu Hause, kocht Nudeln, guckt «Tatort» und geht, von Sabine Christiansen vergrault, zeitig zu Bett.
    Der Sonntagabend ist ein «Wir-Abend». Und ich bin kein Wir mehr. Der Scheißkerl hat mich mit Sabine Christiansen allein gelassen. Und was tue ich? Verzweifelte Mails schreiben an jemanden, den ich gar nicht kenne.
    Ich erinnere mich selbst leider an Sandra Bullock in «Während du schliefst». Die sitzt am Weihnachtsabend im Krankenhaus am Bett eines bewusstlosen Mannes, den sie gar nicht kennt, und fragt: «Warst du schon jemals so einsam, dass du dich mit einem Menschen unterhalten hast, der im Koma liegt?» Könnte ich mir eigentlich nochmal ansehen, den Film. Bloß um alles noch etwas schlimmer zu machen. Schön, Andreas, dass du immerhin bei Bewusstsein bist. Prost, mein Lieber.
    So, werde mir jetzt quasi als Absacker nochmal «Cripple and the Starfish» von Anthony and the Johnsons gönnen. Eine echte Entdeckung, für die ich dir sehr dankbar bin. Wer sich nach diesem Lied nicht schlecht fühlt, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen.
    Gute Nacht.
    Linda
     
    PS: Habe übrigens schlimmen Sonnenbrand.
     
    PS 2: Im Urlaub gab es einen kurzen Moment, in dem ich mir vorstellen konnte, dass dieser ganze Mist tatsächlich irgendwann vorbei sein wird.
     
    PS 3: Wie gesagt, der Moment war kurz.
     
    PS 4: Und vielleicht habe ich ihn mir auch nur eingebildet.

«ICH HABE MIR IMMER EIN GEHEIMNIS GEWÜNSCHT»
    Habe ich erwähnt, dass ich, zurückhaltend geschätzt, in meinem Leben schon mindestens zwölfmal meinen Haustürschlüssel verloren habe? Die Fälle gar nicht mitgezählt, wo er nur vorübergehend unauffindbar war, weil ich ihn beispielsweise bei einer Freundin am anderen Ende der Stadt liegen gelassen hatte.
    Zu Schlüsseln habe ich ein neurotisches Verhältnis. In meinem Handy ist der Schlüsselnotdienst meiner Heimatstadt Jülich an dritter Stelle programmiert – was wenig hilfreich ist, wenn sich der vergessene Schlüssel in meiner vergessenen Tasche mit dem vergessenen Handy befindet.
    Nach einigen unbequemen Nächten im Treppenhaus hatte ich in Jülich eine stattliche Zahl Ersatzschlüssel an meine Freunde verteilt.
    Hier in Berlin geht das nicht, denn ich habe nur einen Schlüssel zu Andreas’ Wohnung, und den darf man nur mit Genehmigung der Hausverwaltung nachmachen lassen.
    Es war also nur eine Frage der Zeit. Und diese Zeit ist jetzt da.
     
    Nachdem ich den ganzen Tag lang in der Wohnung gehockt hatte, brachte ich abends um zehn den Müll runter, um mal vor die Tür zu kommen.
    Vielleicht ist es übertriebener Entsorgungseifer, aber mir passiert es immer wieder, dass ich mit der Mülltüte auch den Schlüssel in meiner Hand wegschmeiße.
    Meine Nachbarn in Jülich hatten sich daran gewöhnt, dass ich immer mal wieder bis zu den Hüften in unseren Hausabfällen steckte und

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