Höhenrausch (German Edition)
Bezeichnung «Dessous» auch nur im Entferntesten verdient hätte. Die wenigen String-Tangas sahen nach etlichen Wäschen aus wie das verfilzte Haarteil von Sam-«Wenn-ich-mich-nicht-irre»-Hawkins, bekannt durch «Winnetou», Folge eins bis drei.
Auch meine Büstenhalter hätten jeder Altkleidersammlung zur Schande gereicht. Selbst nach eindringlichem Grübeln hätte ich nicht zu sagen gewusst, wann ich zuletzt einen zur Unterhose passenden BH getragen hatte.
Niederschmetternd war auch das Ergebnis der Inspektion meines Schuhbestands. Ich hatte aus Jülich Schuhwerk mitgenommen, das ausschließlich zur Fortbewegung gefertigt worden war. Beim Packen hatte ich mir ja nicht vorstellen können, dass mir ein Mann jemals wieder wichtig genug werden würde, um ihm zuliebe unbequeme Schuhe zu tragen.
Mein ganzer Kleiderschrank war Ausdruck der tristen Stimmung, in der ich meine Heimatstadt verlassen hatte. Keine tiefen Ausschnitte, keine gewagten Schlitze, keine kurzen Röcke, keine hochhackigen Stiefel. Nur Jeans, Sweatshirts und flache Absätze, wohin das Auge blickte. Sehr praktisch, aber null sexy.
Mein Kleiderschrank, wurde mir erschrocken bewusst, war der einer Ehefrau.
Das musste ich selbstverständlich sofort ändern.
Denn ich war jetzt, zum ersten Mal in meinem Leben, eine Geliebte.
Das hoffte ich zumindest.
Wie lange rauche ich schon nicht mehr? Fast drei Jahre. Wie lange habe ich nicht geliebt? Ich ziehe den Rauch so tief in meine Lungen, als würde ich herrliche Nordseeluft einatmen.
Auf dem Küchentisch liegt immer noch der umgedrehte Zettel. Nicht lesen. Ich möchte noch ein wenig hoffen. Weil das so schön war, vierundzwanzig Stunden lang glauben zu können, es könnte weitergehen: Geliebte sein, Unterwäsche begutachten, Zukunft ausmalen.
Sah mich an deiner Seite. Habe deinem Sohn Gutenachtgeschichten vorgelesen. Dich auf Vorstandssitzungen begleitet. Unseren Bungalow in Kiel eingerichtet und Sechsgängemenüs für deine Geschäftspartner gekocht.
Ich habe Urlaube mit dir verbracht in kostspieligen Küstenorten. Habe ein bis drei von dir gezeugte Kinder geboren und deine Hemden mit Sprühstärke eingesprüht und gebügelt – beziehungsweise nach dem ersten Rausch der Verliebtheit eigenhändig in die Reinigung gebracht.
Ich will nicht, dass es schon zu Ende ist.
Es hat ja noch nicht einmal angefangen.
Noch eine hoffentlich letzte Zigarette.
Und noch ein hoffentlich letzter Brief.
Lieber Draco,
du fehlst mir nicht mehr. Es war so, wie es immer ist: Es ging vorbei. Aber fast bin ich nicht froh darum. Es ist gut, nicht mehr zu leiden. Aber es ist nicht gut, erneut herausgefunden zu haben, dass die Liebe nie so groß ist, wie man glaubt, solange sie dauert.
Gestern – ich hoffe, du verzeihst mir diese Indiskre-tion, aber wir kannten uns ja lange genug – ging ich in einer Bar aufs Klo. Die Tür war von innen voll gekritzelt mit Botschaften, und jede handelte von der Liebe und dem Schmerz.
«Wie soll ich ohne Tobias leben?»
«Philipp, ich hasse dich, weil ich dich liebe!»
«Mirko, vermisst du mich auch so wie ich dich?»
Das musst du dir mal vorstellen: Da sitzen Frauen auf dem Klo und schreiben Botschaften an geliebte Männer, die diese niemals lesen werden.
Heute finden diese Frauen das wahrscheinlich albern, schämen sich oder lächeln milde: Ach ja, mein Geschreibsel an der Toilettentür. Hab mich damals ein bisschen zu ernst genommen. Dachte, ich hätte meine große Liebe verloren und käme niemals drüber hinweg. Hab mich zum Glück geirrt.
Zum Glück?
Gibt es überhaupt die große Liebe, wenn man später nicht mal mehr zu dem stehen kann, was man auf die Toilettentür geschrieben hat? Große Lieben dürften doch eigentlich nie vorbeigehen. Und wenn doch, müsste zumindest der Verlustschmerz ewig dauern. Wenn man im Nachhinein immer findet, man hätte sich zu ernst genommen: Was kann man dann noch ernst nehmen?
Natürlich ist es tröstlich, zu wissen, dass Liebeskummer vorbeigeht. Aber ein besonders gutes Zeichen für die Liebe ist es eigentlich nicht.
Das wollte ich dir sagen, lieber Draco.
Deinen Namen könnte ich jetzt wieder aussprechen, aber an die Toilettentür würde ich ihn definitiv nicht mehr schreiben.
Wie es aussieht, ist mein Liebeskummer vorbei. Bin bereit für den nächsten. Denn jetzt lese ich die Nachricht, die vor mir auf dem Küchentisch liegt.
Linda
«DIE UNERFREULICHE WAHRHEIT ÜBER SCHUHE: JE SCHLECHTER DU DICH IN IHNEN FÜHLST, DESTO BESSER SIEHST DU
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