Höhenrausch (German Edition)
sich gegen chirurgische Eingriffe entschieden hat, kennt natürlich die Grundproblematik des rückenfreies Kleides: Was zum Teufel macht man mit den Brüsten?
Unbeaufsichtigt hängen lassen ist selbstverständlich keine Option. Und Büstenhalter mit widerlichen und nur nahezu durchsichtigen Plastikträgern kann man ungestraft bloß noch in sauerländischen Großraumdiscos tragen. Diese Teile sehen aus, als habe man sich die BH-Körbchen mit japanischen Glasnudeln am Körper festgezurrt.
Bleibt zur Brustbefestigung also nur der so genannte selbstklebende Büstenformer.
Ich hatte mein Modell, «NudeBra» genannt und nicht ganz billig übrigens, im Internet bestellt. Zwei Tage später erreichte mich ein kleines Paket mit zwei ekelhaften gallertartigen Objekten. Es sah aus, als hätte man zwei hautfarbene Quallen per Post verschickt. In der Gebrauchsanweisung zum «NudeBra» hieß es:
«Positionieren Sie das Körbchen im gewünschten Brustwinkel. Wiederholen Sie das für die andere Brust. Drücken Sie dann die BH-Körbchen mehrere Sekunden fest an den Körper, damit diese richtig sitzen. Achten Sie darauf, dass beide Körbchen in gleicher Höhe sitzen. Jetzt können Sie die Freiheit und den Tragekomfort Ihres NudeBra ungehindert genießen. Durch das Tragen dieses Produkts entbinden Sie NudeBra International von jeglicher rechtlichen Haftung für die Folgen seiner Verwendung.»
Da hätte ich natürlich hellhörig werden können. Aber die Weihnachtsfeier begann in fünfundvierzig Minuten, und ich versuchte zu verdrängen, was für eine erbarmungswürdige Figur ich im Spiegel sah: Da war jemand verzweifelt bemüht, sich möglichst symmetrisch zwei mit übel riechendem Kleber beschichtete Gummititten auf den Busen zu pressen.
Um den Plastikgeruch einigermaßen zu übertünchen, sprühte ich mir eine Extraladung Parfüm auf meine neuen Brüste, schlüpfte in mein rückenfreies Kleid und zog los, den Taschenbuch-Chef zu erobern.
In der Eile hatte ich bedauerlicherweise folgende Passage der Gebrauchsanweisung überlesen:
«Um eine optimale Haftung Ihres NudeBras zu gewährleisten, benutzen Sie bitte keine Feuchtigkeitscremes, Öle oder Duftstoffe im Brustbereich.»
Was soll ich sagen? Eine meiner Plastiktitten ging, von mir unbemerkt, auf Wanderschaft. Und es war ausgerechnet der Taschenbuch-Chef, der mich darauf aufmerksam machte, dass ein äußerst schwer identifizierbares, aber sehr unappetitlich aussehendes Objekt aus meiner linken Achselhöhle hervorluge.
Ich verbrachte viele Minuten auf der Damentoilette, um die falsche linke Titte aus meiner Achselhöhle und die falsche rechte Brust von meiner echten Brust zu entfernen. Ich bin heute noch froh, dass meine Brustwarze dabei nicht draufgegangen ist. Habe ich erwähnt, dass der Kleber eine hartnäckige Verbindung mit meinem Kleid eingegangen war?
Als ich mich wieder auf die Feier traute, war der Taschenbuch-Chef mit der Assistentin vom Sachbuch-Chef verschwunden, und ich hatte den Eindruck, dass sich viele bei meinem Anblick fragten, wie man durch den Besuch der Toilette so derartig viel Oberweite einbüßen kann.
«Was werden Sie denn obenrum tragen?», fragt Renate Küppers-Gökmen.
«Ich habe da ein schwarzes Minikleid gesehen, allerdings bei H&M.»
«Macht nichts, Kindchen. Diese Schuhe werten alles auf. Da könnte der Rest Ihrer Kleidung auch von Tengelmann sein.»
Das überzeugt mich. Und ich kaufe die teuersten Schuhe meines Lebens.
«Und was haben die gekostet?»
«Silke, bitte, ich habe doch schon gesagt, dass ich darüber nicht sprechen möchte.»
«Das heißt mehr als zweihundert Euro. Und heute Abend stolzierst du auf deinen Lorenzi-Tretern durch den Gucci-Store und machst einen auf Konversation. Pass bloß auf, dass du mir nicht durchdrehst.»
«Machst du Witze? Ich bin längst durchgedreht. Gucci ist doch nur die Generalprobe für übermorgen. Hab ich dir eigentlich schon vorgelesen, was Johann Berger auf den Zettel geschrieben hat?»
«Mehrmals. Ich kann den Text auswendig. Aber lies es nochmal vor.»
«Okay, wenn du unbedingt willst. Also: ‹Liebe Linda, tausend Dank für den schönen Abend – und die Nacht. Haben Sie am Donnerstagabend Zeit? Dann würde ich Ihnen – unter anderem – gern das Du anbieten. Herzlichst: Ihr Johann.› Dann kommt noch seine Handynummer. Komm, Silke, das hat Stil, oder?»
«Um welche Uhrzeit seid ihr verabredet?»
«Er holt mich um zwanzig nach acht ab.»
«Zwanzig nach acht? Komische Zeit,
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