Höhenrausch (German Edition)
Rachitis.
«Linda, nun gucken Sie doch nicht wie ein Backfisch im Pornoshop. Sie müssen zwei Dinge lernen. Bei Schuhen gilt: sexy aussehen ohne Rücksicht auf die Unversehrtheit des eigenen Leibes. Beim Trinken gilt: Ich bin zu alt für offenen Wein.»
«Darf ich Ihnen und Ihrer Tochter Champagner bringen lassen?», fragt der Store-Manager.
«Jawoll, Sie dürfen bringen lassen, junger Mann. Und holen Sie der jungen Dame, die nicht meine Tochter ist, mal den schwarzen Gianmarco Lorenzi aus dem Fenster. Für diesen Cavalli-Firlefanz ist sie nicht der Typ.»
Renate Küppers-Gökmen hatte nach dem Tod ihres letzten Mannes dessen Unternehmen allein weitergeleitet und war so zur Spezialistin für den europaweiten Vertrieb von Dieselmotoren geworden. Gut möglich, dass sie sich dem Klang der Motoren stimmlich angepasst hat. Wie ein Paar, das sich im Laufe der Jahre immer ähnlicher wird.
Ist das wirklich so, oder verliebt man sich in Leute, die einem schon von Anfang an ähnlich sind? Welche der beiden Volksweisheiten stimmt denn nun eigentlich: «Gleich und Gleich gesellt sich gern» oder «Gegensätze ziehen sich an»?
Die Partnerbörsen im Internet gehen davon aus, dass man umso besser zusammenpasst, je mehr ähnliche Eigenschaften und Interessen man hat. Ungleiche Paare sind nicht vorgesehen. Wäre es nach denen gegangen, hätte Pretty Woman nie ihren Klavier spielenden Millionär mit Universitätsabschluss und den Hobbys Oper, Theater und Literatur abbekommen. Nach Abgleich mit ihrem Profil hätte man ihr bei «Parship» oder «Dating Café» eine Vorschlagsliste mit Männern geschickt, wie man sie hauptsächlich in Besserungsanstalten findet.
Also ich weiß nicht, ich würde mich nie in einen Mann verlieben, der so ist wie ich. Erstens käme dann keiner von uns jemals zu Wort, und zweitens kann ich mir nicht vorstellen, mit jemandem zusammen zu sein, der immer irgendein Problem hat. Nach einem üppigen Abendessen vorm Einschlafen gerne noch in dem Buch «Für immer schlank!» blättert. Alles persönlich nimmt. Sich ständig grundlos aufregt und sich nur rudimentär für die Weltpolitik interessiert. Wo sollte das hinführen? Nicht auszudenken.
Nein, ich möchte ergänzt werden. Ich möchte definitiv einen Mann, der nicht zu mir passt. Einen, der ganz anders ist als ich. Was mir an Bildung, Gelassenheit und Vermögen fehlt, sollte mein künftiger Partner mit in die Beziehung bringen. Ich steuere dafür Ausgelassenheit bei, die Garantie für lebhafte, nie versiegende Kommunikations- und Auseinandersetzungsbereitschaft, ständige emotionale Hoch- und Tiefpunkte und eine lebenslange Suche nach dem eigentlichen Sinn des Lebens sowie nach dem Haustürschlüssel. Ist ja nicht so, als hätte ich nichts zu bieten.
«Diese Schuhe sind perfekt für Sie, Linda, aber Sie eiern drauf rum wie ein besoffener Seemann.»
Renate Küppers-Gökmen und ich sind am Boden des zweiten Glases Champagner angelangt.
«Ich war Erdal übrigens nie böse, dass er mit Dieselmotoren nichts zu tun haben will. Ich wollte immer ein Mädchen haben – oder eben einen schwulen Sohn. Männer dieser Veranlagung sind familienorientiert, und man kann so schön mit ihnen shoppen gehen.»
Vor drei Jahren hatte Renate Küppers-Gökmen das Unternehmen verkauft. Seither war sie reich, machte zweimal im Jahr eine Kreuzfahrt auf der «MS Europa», dekorierte ihr 260-Quadratmeter-Apartment in Charlottenburg monatlich um und kaufte auf dem Kurfürstendamm so viel ein, dass sie fast in jedem Laden Prozente bekam. Und davon, hatten Mutter und Sohn beschlossen, sollte ich heute profitieren.
«Wann ist Ihre Verabredung, Linda?»
«Übermorgen.»
«Bis dahin müssen Sie dringend den richtigen Gang üben. Haben Sie vielleicht Lust, mich heute Abend auf die Eröffnung des neuen Gucci-Stores zu begleiten? Da könnten Sie Ihren Fummel schon mal probetragen. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man erst im Restaurant merkt, dass sich der Rock elektrisch auflädt und einem ständig am Unterarm kleben bleibt.»
Ich nicke wissend. Für solche Art Missgeschicke bin ich ja tatsächlich Fachfrau. Mit Schaudern erinnere ich mich an die Weihnachtsfeier eines Verlages, für den ich viele minderwertige Krimis übersetzt hatte.
Ich war mir ganz sicher, dass der Chef der Taschenbuch-Abteilung für mich bestimmt sei. Um bei ihm ebenfalls dementsprechende Gefühle hervorzurufen, hatte ich mich für ein rückenfreies Kleid entschieden.
Jede Frau jenseits dreißig, die
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