Hoehepunkte der Antike
von Priestern erteilt wurden,
wobei sich der Kontakt der Pythia mit den Klienten allenfalls auf ein undeutliches Hören beschränkte. Aus den Quellen sind
verschiedene Bezeichnungen für die Priester bekannt: Um 200 v. Chr. gab es zwei als
hiereus
bezeichnete Priester, einen
prophetes
und fünf
hosioi
. Auch wenn wir nicht genau den Aufgabenbereich der Priester kennen und auch wenn ihre Anzahl im Lauf der Jahrhunderte geschwankt
haben mag, so standen der Pythia acht männliche Priester gegenüber. Zumindest der
prophetes
scheint, wie sein Titel „Vor-sprecher“, „Aus-sprecher“ nahe legt, als Vermittler zwischen der Pythia und den Klienten gewirkt
zu haben.
|31| Der Nabel der Welt
Für die Griechen lag ihr Land in der Mitte der bewohnten Welt (
oikumene
). Die Völker des Nordens und Westens galten infolge des kalten und feuchten Klimas als tapfer, aber ohne Klugheit und Kunstfertigkeit;
die Völker des Südens und Ostens dagegen betrachtete man aufgrund der dort vorherrschenden Hitze und Trockenheit als träge,
dafür aber als klug und kunstfertig. Griechenland dagegen verfügte über die richtige Mischung und wäre, so Aristoteles, in
der Lage, die gesamte Welt zu beherrschen, wenn die Griechen nur einig wären (Aristoteles,
Politik
1327 b 29–32). Innerhalb der griechischen Welt beanspruchte Delphi die Rolle des Mittelpunktes. In Delphi befand sich der
Omphalos, der Nabel der Welt. Es handelt sich dabei um einen abgerundeten kegelförmigen Stein, der mit einem netzartigen Flechtwerk
überzogen war. Ein Mythos begründete, warum ausgerechnet in Delphi der Nabel der Welt war: Bei einem Disput zwischen Zeus
und Athena, wo die Mitte der Welt sei – Athena favorisierte ihre Lieblingsstadt Athen –, ließ Zeus zwei Adler von den Enden
der Welt losfliegen. Die Adler trafen sich in Delphi und bewiesen somit die zentrale Lage des Ortes.
Noch ein weiterer Stein in Delphi war bedeutsam. Als Kronos prophezeit wurde, dass seine Kinder ihn entmachten werden, fraß
er sie auf. Statt Zeus, den er zuletzt verspeisen wollte, schob man ihm einen in ein Tuch gewickelten Stein unter, den er
verschlang und zusammen mit den gefressenen Kindern wieder ausspie. Zeus setzte seinen Vater als Herrscher ab und stellte
den Stein in Delphi aus: Die Macht des Zeus war unverrückbar mit Delphi verbunden (Hesiod,
Theogonie
498–500). In historischer Zeit wurde der Stein täglich mit Öl begossen.
Bei der Frage, warum Delphi überhaupt zu einem solchen Zentralort werden konnte, ist die geographische Lage zu beachten. Delphi
lag am Schnittpunkt einer Nord-Süd-Route sowie einer Route zwischen Osten und Westen. Diese Routen waren nicht nur Handelswege,
sondern auch uralte Fernwege der Wanderweidewirtschaft (Transhumanz), wie sie sich im Mittelmeergebiet häufig nachweisen lassen;
bei Delphi befand sich ein Zugang zur Hochebene am Parnassos, die auch heute noch als Sommerweide genutzt wird.
Die Zentralität Delphis wurde durch drei weitere Aspekte noch verstärkt. Erstens die Pythischen Spiele, die alle vier Jahre
stattfanden und |32| zahlreiche Zuschauer sowie Athleten anzogen. Zusammen mit den Olympischen Spielen, den Spielen in Korinth und den Nemeischen
Spielen gehörten die Spiele in Delphi zu den vier großen panhellenischen Treffen. Im Gegensatz zu den anderen Spielen enthielt
das Programm der Pythischen Spiele aufgrund der engen Verbindung Apollons zu den Künsten auch musische Wettkämpfe, beispielsweise
das Flötenspiel. Zweitens war Delphi der Sitz der pyläisch-delphischen Amphiktyonie, eines Bundes, dem zahlreiche Staatswesen
Mittelgriechenlands angehörten. Zweimal im Jahr versammelten sich die Vertreter dieser Staaten in Delphi und berieten sich.
Drittens wirkte das Orakel als starker Anziehungspunkt für Ratsuchende. Keine andere Orakelstätte übertraf Delphis Ruhm; von
keiner anderen Orakelstätte sind mehr Sprüche erhalten. Herodot erwähnt 96 Orakelsprüche, von denen mehr als die Hälfte aus
Delphi stammten. Die Klienten reisten aus allen Teilen der griechischen Welt an, aber auch aus Lydien, Etrurien und Rom. Regelmäßig
zogen Prozessionen von und nach Delphi: Die Boioter stahlen jedes Jahr einen Dreifuß aus Delphi, verhüllten ihn und trugen
ihn zum Orakel von Dodona im Nordwesten Griechenlands. Alle neun Jahre wanderten delphische Knaben nach Thessalien ins Tempetal
zu einem Altar des Apollon. Der Altar war an der Stelle errichtet, an der
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