Hoehepunkte der Antike
politisches Mittel
Der neue Zusammenschluss Athens mit den Inselstaaten der Ägäis und kleinasiatischen Griechenstädten (mit dem modernen Namen
delischattischer Seebund bezeichnet) wird für Athen zur Machtbasis. Die attische Flotte stellt dabei die Hauptstreitmacht,
ein Teil der Bundesgenossen unterstützt sie mit eigenen Schiffen, andere Bündner zahlten jedoch |46| stattdessen einen finanziellen Beitrag. In Delos, dem Zentrum des Bundes, wurde das Geld im Tempel des Apollon deponiert und
die Bundesversammlung der Bündner abgehalten. Diesen Zusammenschluss entwickelte Athen zu einem hegemonialen Machtinstrument,
das fast alle Ägäis-Inseln, Städte an der thrakischen Küste, auf der Chalkidike, am Hellespont, fast alle Städte an der Küste
Kleinasiens, auf Kreta und Zypern sowie am Schwarzen Meer umfasste. Schnell wurden aber aus gleichberechtigten Bündnern Untertanen,
die an jedem Versuch, den Bund zu verlassen, mit roher Gewalt gehindert wurden. Jeder Abfallversuch wurde mit Enteignung,
Versklavung und hohen Reparationen bestraft. Die Herrschaft des Volkes wurde so zu einer Herrschaft über Völker.
Eine solche Zuspitzung auf die Machtfrage ist besonders in der inneren Entwicklung Athens zu erkennen. Es entsteht eine politische
Praxis, die typisch für die attische Demokratie werden sollte: die konsequente Beseitigung der eigenen, erfolgreichen Anführer.
Zuerst ist es der so genannte „Ostrakismos“, das Scherbengericht (von griechisch
ostrakon
, „Scherbe“), mit dem die Athener die Machtfrage im Inneren beantworten. Die moderne Bezeichnung als ,Gericht‘ ist eher irreführend,
denn bei diesem Verfahren gab es weder Ankläger noch Verteidiger oder etwa überhaupt einen geregelten Prozess. Vielmehr wurde
ohne Verfahren, d. h. ohne irgendeine Form der Anhörung möglicher Betroffener oder Ankläger, eine Bürgerabstimmung durchgeführt.
Auf jeweils eine Tonscherbe schrieb ein attischer Bürger den Namen desjenigen Politikers, den er gern in der Verbannung sehen
wollte. Auf wen auch immer die Mehrheit der Namensnennungen entfiel – es traf nämlich manchmal sogar Philosophen oder Künstler
–, er hatte umgehend Attika zu verlassen und durfte für zehn Jahre nicht zurückkehren. Zwar blieben ihm Bürgerrecht und Vermögen
erhalten, aber politische Karrieren wurden auf diese Weise sehr plötzlich beendet.
Wann man in Athen begann, mit dieser Methode missliebige Politiker auszuschalten, ist strittig. Möglicherweise ist Kleisthenes
selbst – dem die Einführung dieses Verfahrens zugeschrieben wird – bereits das erste Opfer gewesen. Unwahrscheinlich ist es
nicht, denn nach seiner großen Reform ist er offenbar von der politischen Bühne Athens verschwunden. Er soll noch um 506 v.
Chr. eine Gesandtschaft an den Hof des Perserkönigs geführt haben, die in einem Vertragsabschluss mündete. Da |47| aber ein Vertrag mit dem Perserkönig immer eine Unterwerfung erforderte, ist die Nachricht entweder falsch oder die Athener
wollten nach seiner Rückkehr davon nichts wissen. Das würde nicht nur sein Verschwinden, sondern auch einen erfolgreichen
Ostrakismos gegen ihn erklären. In jedem Fall war aber seine lange politische Karriere, die in der erfolgreichen Grundlegung
der Demokratie in Athen mündete, sehr unvermittelt beendet. Die erste sicher überlieferte Durchführung eines Ostrakismos gehört
in das Jahr 487 v. Chr. Und erst seit diesem Jahr entfaltete er seine eigentliche politische Sprengkraft. Hauptvorwurf war
stereotyp
Medismos
(Perserfreundlichkeit), d. h. der Verdacht auf Verrat. Doch die hinter den Jahr für Jahr durchgeführten Exilierungen adliger
Politiker stehende Intention war die Entmachtung der einst herrschenden Aristokratie. In einer kleinen Schrift über die attische
Verfassung benennt Aristoteles die Gründe: Gestiegenes Selbstbewusstsein des Volkes nach dem großen Sieg über die Perser bei
Marathon, gleichzeitig jedoch auch anwachsendes Misstrauen gegenüber den adligen Führern. Genauso beschreibt Plutarch in einer
Biographie des Aristeides, wie dieser erfolgreiche Feldherr, der schon an der Seite des Miltiades bei Marathon gekämpft und
später den Beinamen der ,Gerechte‘ hatte, durch die eifersüchtige Missgunst seiner Mitbürger zu Fall kam: Wie jedes Jahr seien
die Athener zu ihrem routinemäßig veranstalteten Ostrakismos zusammengekommen. Ein unbeholfener Bürger, der selbst nicht schreiben
konnte, bat
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