Hoehepunkte der Antike
der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. erkennt man in den Volksgerichten die andere große
politische Kraft. Wie wichtig den Athenern ihre Volksgerichte waren, zeigen die vielen Witze, die später in der attischen
Komödie die zahlreichen Gerichtshöfe als
das
Merkmal der Stadt Athen nennen. Die Richtertätigkeit war offenbar die Lieblingsbeschäftigung der Athener Bürger, sicher nicht
nur, um einem Zug zur Prozesswütigkeit nachzugeben, sondern auch, weil so die engmaschigste Kontrolle der Politiker möglich
war.
Kontrolle über die Politiker
Die in Athen übliche Form der Rechenschaftslegung für Politiker und alle anderen Funktionsträger war die
euthyna
. Sie wurde extensiv betrieben: Alle Priester, Gesandten, militärischen Befehlshaber, Finanzbeamte, Aufsichtspersonen, Mitglieder
des Areopags, alle 500 Ratsmitglieder mussten am Ende ihrer meist einjährigen Amtszeit sämtliche Abrechnungen zur Revision
vorlegen. Während dieser Prüfung lud man sie vor einen der zahlreichen Gerichtshöfe. Diese bestanden alle aus Laienrichtern,
die über ein Losverfahren bestimmt wurden. Bei einer solchen Gerichtsverhandlung konnte jeder Bürger hervortreten und den
jeweiligen Amtsträger anklagen. Selbst wenn die Abrechnungen gebilligt und als korrekt erwiesen worden waren, musste immer
noch einmal ausdrücklich gefragt werden, ob nicht doch noch jemand eine Anklage erheben wolle. Dann erst stimmten die Richter
– üblicherweise waren es 501 – ab; es folgte noch eine zweite Stufe der Überprüfung. Dabei mussten sich die jeweiligen Amtsinhaber
für alle anderen Vergehen verantworten, die sie begangen haben könnten. In diesen Verfahren war sogar die Todesstrafe möglich.
Neben einer Überprüfung vor dem Amtsantritt war auch während der Amtszeit eine engmaschige Kontrolle üblich. Darüber hinaus
konnte ein attischer Funktionsträger, aber vor allem die attischen Politiker |52| jederzeit ganz allgemein wegen Verrats angeklagt werden (
eisangelia
). Gerade diese allgemeinen Anklagen wurden gern gegen die höchsten Funktionsträger gerichtet, so dass sich später der berühmte
Redner Demosthenes in seiner
Ersten Philippika
beklagte:
Jetzt dagegen ist es zu dem schändlichen Zustand gekommen, dass jeder der Strategen zwei- oder dreimal vor euren Gerichten
auf Leben und Tod angeklagt wird, dass aber keiner von ihnen auch nur einmal im Kampf gegen die Feinde sein Leben einzusetzen
wagt. Vielmehr ziehen sie den Tod des Räubers und Diebes einem Ende, das ihnen angemessen ist, vor. Denn der Verbrecher soll
gemäß richterlicher Entscheidung sterben, der Stratege aber im Kampf gegen die Feinde.
(Demosthenes,
I. Philippika
47)
Wie konnte es zu diesem Zustand kommen, der nicht nur in der Antike als Höhepunkt in der Entwicklung der attischen Demokratie
betrachtet wurde? Interesse der Öffentlichkeit an Recht und Gesetz ist für die griechischen Poleis natürlich ein geläufiges
Phänomen. In Athen jedoch hatten die Gerichte einen ganz besonderen Stellenwert. Ausschlaggebend hierfür war ein Gesetz des
Perikles, das in den 60er-Jahren des 5. Jahrhunderts v. Chr. die Besoldung attischer Richter einführte. Grundsätzlich gab
es eine Besoldung aus öffentlichen Geldern bis dahin nur für militärische Tätigkeiten. Eine weitergehende Besoldung für andere
Tätigkeiten stellte eine Neuheit dar und rückte damit das Richteramt in einen eindeutig politischen Kontext. Die Bezahlung
von politischer Aktivität ermöglichte für wirtschaftlich abhängige Bevölkerungsschichten eine unabhängige politische Betätigung,
die es bis dahin nicht gegeben hatte. Damit war auch für einfache Bürger, die als Tagelöhner oder Handwerker ihren Lebensunterhalt
verdienten, erstmals das Fundament für eine wirklich breite politische Aktivität gegeben. Die Tätigkeit als Richter, wahrscheinlich
noch viel mehr als die Teilnahme an den Entscheidungen in der Volksversammlung, hat ganz wesentlich zur Ausbildung der politischen
Identität der Athener in ihrer Demokratie beigetragen.
Dieser ganze, eher Schritt für Schritt als durch eine einzige Reform oder gar einen dramatischen ,Sturz‘ vollzogene Prozess
lässt mit dem Bürgerrechtsgesetz des Perikles einen gewissen Abschluss erkennen. |53| Nach dem Antrag des Perikles ging es darum, festzulegen, wer von den in Attika Lebenden ursprünglich Zugang zur Bürgerschaft
haben sollte: Wegen der großen Anzahl wollte man
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