Höhepunkte
ein neues Element der Erotik. Als Emmanuelle merkte, wie gelassen sie es hinnahm, nichts - oder fast nichts - von Marie-Anne zu wissen, wurde ihr bewußt, daß ihr Geist und ihr Körper mehr Lustgewinn daraus zogen, einer andern den Anblick der Unzucht darzubieten, als wenn sie selbst die Zuschauerin gewesen wäre. Und wenn sie mit jedem Tag ungeduldiger auf ihre Freundin wartete, so weniger wegen der Erregung, die sie bei der Betrachtung ihrer Nacktheit oder als Augenzeugin ihrer lasziven Spiele empfand, als wegen der viel köstlicheren, weil obszöneren Erregung, die ihr zuteil wurde, wenn sie sich, unter den aufmerksamen Blicken Marie-Annes, in ihrem Liegestuhl selbst liebkoste. Auch wenn Marie-Anne schon gegangen war, blieb der Zauber ungebrochen: Emmanuelle sah die grünen Augen vor sich, die auf ihr Geschlecht starrten, und so blieb sie, in ihr Spiel mit sich selbst versunken, bis zum Abend liegen.
In der darauffolgenden Woche wurde Emmanuelle von Marie-Annes Mutter zum Tee eingeladen. In dem prätentiösen Salon fand sie ungefähr zehn Damen vor, die ihr alle gleich nichtssagend erschienen. Schon bedauerte sie, mit ihrer Vertrauten nicht allein sein zu können, die auf dem Teppich saß und sich ganz als die wohlerzogene Tochter des Hauses gab, als ihr Interesse durch die Ankunft einer sehr eleganten jungen Frau geweckt wurde, die in dieser Gesellschaft auf den ersten Blick ebenso deplaciert schien wie sie selbst.
Die Hereintretende erinnerte Emmanuelle an die Pariser Mannequins, die sie immer bewundert hatte. Sie war hochgewachsen wie diese. Ihre steinernen Züge zeigten den gleichen undefinierbaren Überdruß, die gleiche gespielte Distanziertheit gegenüber Vertraulichkeiten. Der »gleich einer Rose« halboffene Mund, die bernsteinfarbenen Augenbrauen, die sich über den großen Augen wölbten, die zärtlich geschwungenen Wimpern verliehen diesem Gesicht eine so unwahrscheinliche Arglosigkeit, daß es einer Herausforderung gleichkam. Mit einem gewissen Hochmut sagte sich Emmanuelle, daß sie hier vermutlich die einzige war, die dank ihrer »Erfahrung«, wie sie es nannte, zu begreifen vermochte, welche Bescheidenheit im Grunde einem so absoluten Streben nach Vollkommenheit innewohnte, wie verdienstvoll eine so anspruchsvolle Auffassung von der Pflicht zur Schönheit, wie bestrickend eine so große, unter dem gleichgültigen Perlmuttblick verborgene Leidenschaft war. Und sie erinnerte sich, auch auf den Masken ihrer Freundinnen, die »den stolzesten Denkmälern nachgebildet« waren, das gesehen zu haben, was Baudelaire mit der Verdammung »der Bewegung, welche die Linien verschiebt«, hatte sagen wollen. Die alabasterhaften Göttinnen sind Fleisch geworden, aber des Menschen Sehnsucht nach Statuen lebt fort - der Mensch glaubt nur an die unerreichbaren Paradiese und an die unbeseelten Götter, und so ist das angebetete Fleisch wieder Stein geworden.
Die Erregung, die sich Emmanuelles bei der Beschwörung dieser Bilder bemächtigte, hatte zwiefachen Ursprung: teil hatten an ihr sowohl die noch nahe Erinnerung an die aufregenden Schwärmereien ihrer Schulzeit als auch die Sinnestaumel später in den Anprobesalons. Sie dachte, daß sie sich selbst gern in ein Kunstwerk verwandeln würde und daß es gut wäre, wenn sie, die bei ihrer Ankunft in Bangkok noch ungeformter Ton war, hier ihre Form finden könnte (sie dachte dabei weniger an die Form eines Körpers - den ändern zu wollen sie keinen Anlaß sah - als an die Formen des Geistes). Und obgleich sie sich nicht konkret vorstellte, worin diese Vollendung bestehen sollte, wünschte sie sich doch, ihr Leben möge eines Tages etwas so Kostbares und Wohlgelungenes werden, wie es die raffinierte Frisur dieser bronzefarbenen Haare war, etwas so Triumphierendes wie diese perlmuttgrau schimmernden Augen, etwas das Urteil der Menge so Geringschätzendes wie dieses Kostüm, dessen Schnitt eine einzige Herausforderung der Linien des Körpers war und das am Hals nur um den Preis einer schwierigen Armbewegung geschlossen bleiben zu können schien, ein Kunstwerk, dessen einzige reizvolle Aufgabe darin gesehen werden mußte, die Niederlage der Elemente und das Scheitern der Konventionen an der selbstherrlichen Phantasie der weiblichen Launen durch eine fröstelnde Bewegung in diesem sengend heißen Klima zu bezeugen.
Bevor Marie-Annes Mutter Zeit gefunden hatte, die Neuangekommene vorzustellen, erhob sich Marie-Anne und zog Emmanuelle in eine Ecke des Salons, wo man sie
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