Höhepunkte
wirklich nicht. Wenn man dich so hört, möchte man meinen, meine Tage seien gezählt!«
»Naja.«
Marie-Anne machte ein so ernstes Gesicht dabei, daß Emmanuelle wirklich etwas aus der Fassung geriet. Protestierend sagte sie: »Ich fühle mich allerdings noch nicht gerade dem Greisen-alter nahe.«
»Ach, weißt du, das kommt schnell.«
»Und diese Bi, diese Bee - ich finde übrigens die englische Schreibweise hübscher, das bedeutet wenigstens was -, steht sie nach den Maßstäben, die du anlegst, auch schon mit einem Fuß im Grab?«
»Sie ist zweiundzwanzig Jahre und acht Monate alt.«
»Ist sie verheiratet?«
»Nicht einmal das.«
»Dann ist sie ja wirklich eine alte Jungfer. Was wird sie sich da wohl alles von dir anhören müssen!«
Marie-Anne schwieg.
»Wenn ich recht verstehe, bist du nicht geneigt, sie mir vorzustellen?« begann Emmanuelle wieder.
»Statt so blöd daherzureden, brauchtest du ja nur mit mir zu kommen!«
Marie-Anne machte ein Zeichen, und Bee kam auf sie zu.
»Das ist Emmanuelle«, sagte Marie-Anne, so als stelle sie eine Missetäterin vor.
Aus der Nähe vermittelten die großen perlgrauen Augen den Eindruck von Intelligenz und Souveränität. Augenscheinlich wollte Bee weder andere beherrschen noch duldete sie es, daß andere sie beherrschten. Emmanuelle war sicher, daß sie Marie-Anne allerlei zu schaffen machte. Sie fühlte sich gerächt.
Sie wechselten ein paar belanglose Worte. Bees Stimme paßte zu ihren Augen. Sie drückte sich besonnen aus und zögerte nie. Eine innere Heiterkeit verlieh ihr Wärme. Emmanuelle fand, daß dem Gesicht und der Stimme nach diese junge Frau eine glückliche Natur besitzen mußte.
Sie hätte gern gewußt, womit Bee ihre Tage verbrachte. Anscheinend tat sie nichts weiter, als in der Stadt herumzubummeln. Ob sie allein in Bangkok lebe? Nein, sie sei vor einem Jahr hierhergekommen, um ihren Bruder zu besuchen; er sei Marineattaché bei der amerikanischen Botschaft. Anfangs habe sie nur einen Monat bleiben wollen, aber nun sei sie immer noch da. Es eilt ihr gar nicht, wieder abzureisen.
»Wenn ich von diesen verlängerten Ferien genug habe«, sagte sie, »dann werde ich heiraten und in die Vereinigten Staaten zurückkehren. Zum Arbeiten habe ich keine Lust; ich finde es einfach herrlich, nichts zu tun.«
»Sind Sie verlobt?« fragte Emmanuelle.
Bei dieser Frage sah sie Bee zum erstenmal lachen. Es war ein sehr offenes und sehr hübsches Lachen.
»Wissen Sie, in meinem Land verlobt man sich erst am Tag vor der Hochzeit und zwei Tage vorher weiß man noch nicht, mit wem. Und da ich weder morgen noch übermorgen die Absicht habe, mich zurückzuziehen, wäre ich in großer Verlegenheit, wenn ich Ihnen sagen sollte, wie meine Wahl ausfallen wird.«
»Aber sich verheiraten heißt doch nicht unbedingt, sich zurückzuziehen«, protestierte Emmanuelle.
Bee lächelte nachsichtig. Sie sagte nur: »Oh!« Es klang nach leichtem Zweifel. Dann fügte sie hinzu: »Es ist ja nichts Schlimmes, wenn man sich zurückzieht.«
Emmanuelle war versucht zu fragen: wovon? Aber sie wollte nicht indiskret sein. Und jetzt erkundigte sich Bee: »Sind Sie glücklich, daß Sie so jung geheiratet haben?«
»Oh!« sagte Emmanuelle. »Ich bin überzeugt, es war das Beste, was ich bisher in meinem Leben getan habe.«
Wieder lächelte Bee. Emmanuelle war erstaunt über die Güte, die sie ausstrahlte. Die emailleglatte Schönheit des Gesichts (das völlig ungeschminkt wirkte - aber Emmanuelle wußte, welche Sorgfalt, welche Geduld und wie viele Stunden sachkundiger Handhabung von Pinseln und Cremes es bedurft hatte, um mit solcher Vollkommenheit Natur vorzutäuschen) und alles, was durch ein Übermaß an Perfektion an ihr fast störend wirkte, war vergessen, sobald bei ihr die Heiterkeit durchbrach wie Sonne durch ein Buntglasfenster. Dann fühlte man sich nicht mehr versucht, zu sagen: Wie schön ist diese Frau!, sondern: Wie sympathisch sieht sie aus! Emmanuelle sagte sich jedoch lieber: Wie glücklich scheint sie zu sein! Da sie selber glücklich war, schien dieser Gedanke sie ihr näherzubringen. Das Unglück erschreckte sie derart, daß sie unfähig war, jemanden ernsthaft zu lieben, der seinen Kummer ausbreitete und sich beklagte. Manchmal schämte sie sich dieser Eigenschaft, obwohl sie nicht Ausdruck von Herzenskälte, sondern von einer scheuen, fast quälenden Liebe zur Schönheit war.
Während Marie-Anne mit den Damen plauderte, wich Emmanuelle keinen Schritt von
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