Höhepunkte
stupste mich am Ellbogen. »Mittwoch.«
»Mittwoch«, sagte ich und setzte mich in Trab.
Draußen auf der Straße rang Phlox nach Fassung und fingerte nervös an ihrer Handtasche herum. Ich trat von hinten auf sie zu und preßte das Gesicht in ihr Haar. Sie atmete tief ein, hielt die Luft an, atmete wieder aus; ihre Schultern entkrampften sich. In diesem Augenblick - gerade als sie sich mit ziemlich gelassenem Gesicht zu mir umwandte - drehten die Zikaden in den Bäumen alle durch, wer weiß wieso, und ihr Zirpen war so laut und grauenhaft wie tausend Fernseher, in denen gleichzeitig die Nachrichten laufen. In Pittsburgh sind selbst die Zikaden fleißig. Wir hielten uns die Ohren zu und lasen uns die Worte von den Lippen ab.
»Mann!« bildete sie mit den Lippen.
»Nichts wie weg von hier.«
»Was?«
»Das macht mich verrückt.«
»Was?«
Ich riß die Tür eines Lokals auf, einer Imbißstube direkt neben dem Restaurant, das wir eben verlassen hatten; wir standen im Vorraum neben dem Kaugummiautomat - einer Spende des Kiwanis-Klubs - und küßten uns in der Stille von klapperndem Besteck und dudelnder Musik.
Susanne Seitz
Fedor war zu Hause, als Lisa klingelte.
Zuerst erkannte sie ihn gar nicht, denn er trug nicht seinen schwarzen Cut, sondern einen blau-gelben Morgenrock, obgleich es bereits nach Mittag war. Normalerweise sah man ihn nur in Schwarz, selbst sein Malerkittel hatte keine andere Farbe. Kurzes Erstaunen erschien auf ihrem Gesicht.
Da Begrüßungen zwischen ihnen nicht üblich waren, sagte sie gleich: »Ich habe sehr lange nichts mehr von dir gehört. Da dachte ich, ich müßte mal vorbeikommen.«
Nach einem abschätzenden Zögern nickte er.
»Ist dies ein Privatbesuch?« wollte er wissen.
Lisa lachte und schlug den Schleier ihres Hütchens zurück. »Natürlich. Solltest du jedoch weiterhin berufliches Interesse an mir haben, stehe ich zur Verfügung.«
Fedor trat zurück und ließ sie eintreten. Als Lisa die nackte Frau auf den Fellen sah, erschrak sie etwas.
»Oh«, sagte sie. »Stören will ich nicht.«
Fedor nickte der Frau zu, befehlsgewohnt wie immer. Sofort stand sie auf und verschwand, um sich anzuziehen. Lisa sah ihr nach. Die Frau war nicht mehr schön und auch nicht mehr allzu jung.
»Ich würde dir sagen, wenn du störst«, sagte Fedor, goß Wasser in die Waschschüssel und wusch sich die Hände. Lisa stand unschlüssig im Raum. Inzwischen kam die Frau angezogen wieder hinter dem Paravent hervor, warf Lisa einen kurzen Blick zu und ging dann an ihr vorbei. Früher mochte sie einmal recht hübsch gewesen sein, doch jetzt sah sie verlebt und verwelkt aus. Sie war stark geschminkt und auffällig angezogen. »Montag?« fragte sie Fedor.
Ohne sie anzusehen, gab Fedor zurück: »Montag.«
Erst als die Tür ins Schloß fiel, blickte er hoch. Er war keineswegs verlegen. Er hatte die Frau nur bereits vergessen.
Lisa zog ihren Mantel aus und warf ihn über einen der beiden Stühle.
»Wer war das?« fragte sie.
»Uninteressant für dich.«
»Eine Prostituierte?«
»Eine Prostituierte.«
»Schläfst du mit ihr?«
Jetzt drehte er sich um und sah sie mit seinem sonderbaren Halb-Lächeln an. Eine Erwiderung kam nicht.
Sein Blick tastete sich über ihr Kleid. Es war neu und von dunklem Rot. »Wie ich sehe, verkaufst du dich inzwischen recht gut«, sagte er.
»Leander ist nicht kleinlich. - Abgesehen davon verdiene ich weiterhin bei Gregorian.«
Sie ging davon aus, daß er von ihrem Verhältnis mit Niki wußte. Ganz Schwabing wußte davon. Langsam nahm sie ihren Hut ab. Fedor schien in sich hineinzulachen. »Leander ist zwar ein ahnungsloser Kleckser, aber vielleicht ganz nützlich.«
»Inwiefern?«
»Er hat dich reif gemacht.«
»Reif? Wofür?«
»Für mich.«
Lisa lachte auf. »Du glaubst doch nicht, daß ich mit dir schlafe, nachdem du fünf Minuten vorher dieses Weibsstück gehabt hast.«
»Du glaubst doch nicht, daß ich danach frage.«
Er war auf sie zugetreten und stand direkt vor ihr. Angriffslustig
und trotzdem etwas beklommen sah sie zu ihm hoch. Seine Kiefer hatten sich gespannt. Plötzlich griff er mit einer Hand in ihr Haar. Es tat weh. Lisa ließ sich hochziehen.
»Du kannst nicht mehr zurück«, hörte sie ihn sagen. »Jetzt nicht mehr.«
Zurück? Sie wollte überhaupt nicht zurück. Er sollte ihr weh tun, er sollte sie auslöschen.
Mit Fedor war es Leidenschaft.
Mit Fedor entdeckte sie die eigene Hemmungslosigkeit und darin sich selbst. Auf Fedor
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