Höhepunkte
Gefühle, die ihn bewegten und durch und durch pflügten, drangen so weit vor, daß sie die leuchtende Klarheit begriffener Worte annahmen, und unter den weiten Mänteln der Worte zeichneten sich die scharfen Begriffe ab.
Louis war dankbar.
Er beachtete, wie Bea Bob entblößte.
Vor Louis’ geweiteten Augen spielte ein Film, er sah sich aufwachsen in seiner Familie, sah die offenen und die verborgenen Handlungen, ja, so war sein Leben verlaufen, immer abgetarnt und verlogen, stets auf der Hut vor Entdeckung: die Liebe war, wenn es sehr weit kam, ein argloser Kuß. Er hatte ein Leben der andauernden Verleugnungen geführt.
Was Bea ihn lehrte, war das Gegenteil, war eben, und jetzt wußte er, wie sie es gemeint hatte, die Suche nach neuen Formen und Darstellungen, die Expedition zu neuen Erfahrungen, neuen Höhen und Tiefen.
Er glaubte nun, etwas von dem, was Bea tat, zu begreifen. Sie arrangierte ihr Leben als Kunstwerk, nicht wie ein Kunstwerk, sondern als wirkliches Kunstwerk, und sie benötigte Publikum dazu, denn die Kunst verlangt nach Öffentlichkeit. Außerdem tat der Künstler das Ungewohnte, Revolutionäre, eben das andere, und indem er die Schale des Eingefahrenen und Gewohnten durchbrach, drang er zu einer neuen Kunsterfahrung durch und schuf ein neues Werk der Kunst.
Louis, indem er es so genau durchdachte, erschrak vor der Schwierigkeit der Aufgabe, ihn schwindelte vor der Kühnheit. Er argwöhnte, jemand, der sich so viel vornähme, habe sich zu viel vorgenommen. Weshalb aber nicht wenigstens einen Versuch wagen? Louis beugte sich erneut weit über den Tisch vor und beobachtete die winzigen Irrlichter und sich drehenden Feuerräder in den großen kastanienbraunen Augen des Schwarzen, dessen Blick in die Weite gerichtet schien.
Er beugte sich noch weiter nach vorn, denn er wollte alles sehen und erkennen. Und er erkannte ein kaum merkliches Zucken, eine winzige Veränderung im Blick des Schwarzen, die sich fortsetzte, die Pupille verließ, über die Lidfalte in die ruhigen Züge eindrang. Es war wie die erste Andeutung eines lächelnden Signals, eines erahnbaren Einverständnisses, ein gehauchtes Signal und Versprechen: Wozu auf Worte warten, wenn wir uns begreifen.
Louis beugte sich vor zu den beiden anderen und sprach, ihnen über das Haar streichend, mit einer ihn selbst überraschenden vollkommenen Zärtlichkeit: »Ich begehre euch.« Er wußte, er würde diesen Ort als ein Verwandelter verlassen. Er verspürte eine ungekannte Lust, so als berührten ihn liebevoll tastende Finger unter der Haut, und es war ihm wie Samt auf Samt. So schritt er über diese Aschehalde, ein leuchtendes Glitzern in den Augen.
Almudena Grandes
Mein Griechischprofessor lehnte an einer der mächtigen Säulen im Foyer und musterte mich mit ironischem Blick.
»Wohin willst du denn, in dieser Aufmachung?«
Ich grinste und suchte nach einer glaubwürdig klingenden Erklärung, die mein Äußeres gerechtfertigt hätte, aber mir fiel nichts ein. Ich merkte, wie mir die Hände zitterten. Darum steckte ich sie in die Manteltaschen. Meine Lippen zitterten ebenfalls, also beschloß ich, etwas zu sagen.
»Komm, Félix, lad mich zu einem Kaffee ein...«
»Da bist du auf dem Holzweg, wenn du glaubst, ich setze meinen mühsam erarbeiteten Ruf aufs Spiel und lasse mich mit einem so angezogenen Mädchen sehen.«
»Von was für einem Ruf sprichst du eigentlich? Los komm, lad mich zu einem Kaffee ein.« Ich hakte ihn unter, und wir machten uns auf den Weg zur Bar im Keller.
Félix war ein ausgezeichneter Griechischprofessor, ein äußerst intelligenter Mensch mit feinsinnigem Humor und ein alter Freund von mir. Ich war drei- oder viermal mit ihm ins Bett gegangen, es hatte mir durchaus gefallen. Aber er besaß einen Fehler. Er war ein schreckliches Klatschmaul und deshalb die letzte Person, die ich an jenem Nachmittag treffen wollte.
Die Sache entwickelte sich nicht gerade günstig.
Das Warten zu Hause hatte mich so nervös gemacht, daß ich schließlich beschlossen hatte, eine halbe Stunde eher als vorgesehen aufzubrechen. Da ich mir vorgenommen hatte, eine halbe Stunde früher an der Fakultät zu sein, damit ich mich in die Mitte der ersten Reihe setzen konnte, hatte ich in dem Augenblick, als ich Félix traf, noch eine ganze Stunde Zeit. Zu lange, um vor der verschlossenen Hörsaaltür auf und ab zu gehen.
Ich hatte natürlich nicht daran gedacht, daß die Tür möglicherweise verschlossen sein könnte. Ich war auch
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