Höhepunkte
nicht auf den Gedanken gekommen, das zu überprüfen, obwohl ich doch jeden verdammten Vormittag daran vorbeikam.
Das beste war, in die Bar hinunterzugehen, sich ein wenig abseits an einen Tisch zu setzen und ein Weilchen zu klatschen. Ich war in der Stimmung, in allem günstige Vorzeichen zu entdecken. Also beschloß ich, auch meine Begegnung mit Félix als ein gutes Omen zu betrachten.
»Trägst du etwas unter dem Mantel?« Er starrte mich mit unverhohlener Neugier an.
»Natürlich habe ich etwas an! Kleidung. Ich bin komplett angezogen.« Ich versuchte, beleidigt zu erscheinen. »Aber ich verstehe nicht, warum du so viel Aufhebens um meine Aufmachung machst, nicht einmal, wenn ich mich verkleidet hätte.«
»Du bist verkleidet. Unglückseligerweise weiß ich nur nicht als was, aber selbstverständlich bist du verkleidet.«
Ich würde ihm nichts vormachen können, deshalb wechselte ich lieber das Thema.
Als ich zum Tresen ging, um Kaffee zu bestellen, kicherten an den vorderen Tischen ein paar Erstsemesterstudenten und stießen sich mit den Ellbogen an.
Ich fragte mich ernsthaft, ob ich nicht doch zu dick aufgetragen hatte.
Der Mantel machte mir weiter keine Sorgen. Ein weißer Wollmantel ist ohnehin schon auffallend. Genau aus diesem Grund hatte ich ihn mir ja ausgeliehen, ich wollte ja um jeden Preis Aufmerksamkeit auf mich ziehen.
Das Schlimmste waren die Kniestrümpfe in undefinierbarem Beige. Sie rutschten mir ständig auf die Knöchel runter. Die Gummibänder hatten sich als äußerst widerstandsfähig erwiesen. Erst nachdem ich sie dreimal gekocht und anschließend einige Tage auf dickbauchige Sektflaschen gespannt hatte, rutschten sie mit überzeugender Natürlichkeit die Beine runter, obwohl ich sie gerade erst gekauft hatte und zum ersten Mal trug.
Selbst wenn vielleicht die Strümpfe allein noch nicht so lächerlich wirkten, sahen sie natürlich zusammen mit den Schuhen schauderhaft aus. Ich mußte an den Kreis von Verkäuferinnen denken, der sich im Schuhgeschäft um mich gebildet hatte. Ich hatte gebeten, man möge mir das braune Modell mit dem höchsten Absatz in Größe neununddreißig bringen. Dann holte ich einen Strumpf aus der Tasche, zog ihn mir über den Fuß und probierte reihenweise Schuhe, wobei ich gründlich die Wirkung in den kleinen, an Säulen gelehnten Spiegeln studierte. Ich entschied mich für ein paar sehr schlichte Pumps, die mich neun Zentimeter größer machten.
Aber an dem Tag im Schuhgeschäft hatte ich normale Nylonstrümpfe getragen. An diesem Nachmittag im Februar hatte ich keine an, meine Beine waren nackt, den Mantel dagegen hatte ich bis unters Kinn zugeknöpft.
Wahrscheinlich hatte ich zu dick aufgetragen, aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich setzte mich neben Félix und wartete ab. Der Pedell hatte mir gesagt, daß die Türen gewöhnlich ungefähr zehn Minuten vor Beginn der Veranstaltung geöffnet wurden. Ich verdrückte mich fünf Minuten früher, indem ich vorgab, ich müßte mal zur Toilette. Langsam stieg ich die Treppe hoch, gelangte ins Foyer und schlich mich durch die offene Tür. Ich setzte mich genau in die Mitte er ersten Reihe.
Eine ganze Weile war ich die einzige Person in dem großen Hörsaal.
Rein zufällig hatte ich von der Veranstaltung erfahren. Die Fakultät für spanische Philologie organisierte andauernd solchen Zauber. Die Zettel und Plakate am Schwarzen Brett hatten mich nie besonders interessiert. Jetzt aber suchte ich Nachhilfeschüler, ich brauchte Geld, weil ich im Sommer auf jeden Fall nach Sizilien fahren wollte, und man hatte mir erzählt, daß dort ein paar neue Zettel aushingen, zwei dumme Erstsemester, die höchstwahrscheinlich Probleme mit dem Gebrauch des Dativs hatten.
Und so entdeckte ich seinen Namen, winzig klein gedruckt, inmitten vieler anderer Namen.
Angst, Horror vor der Wirklichkeit, vor der endgültigen Enttäuschung, denn danach würde ich ihn nie zurückgewinnen, ihn mir nicht mehr in das große, leere Haus hineinphantasieren können, wo wir uns geliebt, hatten. Angst, ihn für immer zu verlieren.
So viel Zeit war vergangen.
Ihn in meinem Gedächtnis zu bewahren war für mich einfach gewesen. Ich lebte ein langweiliges, arbeitsames Leben. Ich war allein, vor allem nachdem Marcelo ausgezogen war. Meine Tage verliefen alle gleich, grau, der ewige Kampf, um mir einen eigenen Raum in dem überfüllten Haus zu erobern, die ständige Einsamkeit inmitten all der Menschen, die ständigen Diskussionen - ich
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