Höhlenangst
schlenkerten in der Mitte und Mutter sammelte von hinten die Verluste ein. Ich hatte Zeit, mich über die Buchstabenanhäufung »TrÜPl« auf den gelben Straßenschildern zu wundern. Sie pfeilte nach rechts ins sich südlich der Landstraße hinziehende Naturparadies der Wälder und Wacholderheide. Da bog ich dann mal ab. Ein weißes Schild stoppte mich an einer rotweißen Schranke.
Militärischer Sicherheitsbereich.
Grenze des Truppenübungsplatzes.
Schieß- und Übungsbetrieb
Blindgänger! Lebensgefahr!
Unbefugtes Betreten des Platzes ist verboten
und wird strafrechtlich verfolgt
Der Kommandant
Hier also. Hier im Gutsbezirk Münsingen ballerte seit über hundert Jahren das Militär. Zuerst das Grenadierregiment des Königs Karl von Württemberg, dann die Amerikaner, danach die Franzosen und schließlich seit 1992 die Bundeswehr. Und in ein paar Monaten zog der letzte Soldat ab. Zurück blieb hinter dem Sichtschutz einer Reihe junger Bäume ein von sechzehntausend Schafen geschorenes Hügelgelände von fast siebentausend Hektar, in dessen Panzerwellen Einmaliges biotobte.
Gen Laichingen schwenkte die Landstraße vom Trüpl weg. Der Raps blühte. Weiße Kalksteinwege peilten das nächste Wäldchen an. Aus Laichingen quoll mir der Pfingstmarkt entgegen. Ein mir unbekanntes regionales Großereignis. Aus Ulm, Esslingen und Reutlingen war man angereist und ruckelte auf der Suche nach einem Parkplatz durch die Straßen bis drüben wieder hinaus. Im Ortskern reihten sich Verkaufszelte dicht an dicht, auf jedem freien Plätzchen der Stadt wucherten Flohmärkte, Menschen zogen in Kolonnen vom Ortsrand hinein oder, mit Harken, Besen, Vogelkäfigen oder Gartenschläuchen beladen, wieder hinaus. Allerdings zogen mehr hinein.
Ich stellte Brontë am Abzweig zur Tiefenhöhle auf dem Fußweg ab. Andere standen da auch schon.
Das Getümmel verklumpte sich gleich an der ersten Wurstbraterei. Überhaupt waren die Fressstände die einzigen, die wirklich Umsatz machten. Socken, Unterwäsche, Kälberstricke, Handtaschen, Magnetschmuck und Stofftiere versperrten die Sicht auf die Fachwerkhäuser und erlaubten kein Urteil, ob die Stadt hübsch war. Der Marktplatz war es jedenfalls nicht. Nicht nur weil gebaut wurde. Zwischen skulpturell hingeworfenen Quadern erinnerte ein Springbrunnen an die Hüle, die einstige Viehtränke im Vulkantufftümpel des Kraters, in dem das Städtchen im fünften Jahrhundert von dem Alemannenhäuptling Laicho gegründet worden war und dann als Leinenweberstadt Karriere gemacht hatte.
Das habe ich natürlich erst später nachgelesen.
Ich kaufte eine dieser modernen metallisch schimmernden Krawatten – silberrot gestreift – und knüpfte sie mir zum dunkelgrauen Hemd unter die Lederjacke. Bei der Narbe, die mein Gesicht beharkte, genügte ein winziger Tupfer, um keinerlei Verdacht aufkommen zu lassen, unter meinem dunklen Kurzhaar ticke ein weibliches Gehirn. Meine geschundenen Designerjeans waren eh unisex und die asics hätten jedem Triathlonläufer Ehre gemacht. So versachlicht konnte ich in jede Hotelrezeption treten und nach Herrn Dr. Weber fragen, ohne Richards Bedürfnis nach Diskretion ernstlich zu verletzten.
Um allerdings das Hotel Krehl »zur Ratstube« mit dem Rotary-Schild zu entdecken, musste man die Verkaufsbuden schon ein bisschen beiseite schieben. Ein findiger Bauer hatte aus vier Betonpfeilern und schuppig eingesetzten Brettern Kompostbehälter aufgebaut, die er ausgerechnet mir verkaufen wollte. »Sie könnet nadirlich oins bschtelle, aber des isch ja immer viel Gschäft mit dem Transport. Aber wenn Sie heut Abend wiederkommet, na krieget Sie’s glei. Des kloine isch allerdings scho weg.« Hundert Euro hätte das kleine Kompostgehege gekostet, zweihundert kostete das größere, das keineswegs doppelt so groß aussah.
An der Hotelrezeption beschied man mir, ein Dr. We ber sei bei ihnen nicht abgestiegen.
Ich hatte plötzlich Angst, unversehens Florian und Laura in die Arme zu laufen, und zog mich nach nebenan in den ersten Stock des Café deli zurück, um Kriegsrat zu halten. In einer Spielecke bauklötzelten Kinder, deren Mütter sich über Latte Macchiato und Cappuccino hinweg anqualmten und über Nudelsalat und Orgasmus sprachen.
Ich bestellte einen Kaffee und einen Grappa, stierte auf die an die Wand gemalten Worte »délicieux, delicious, delicado« und dachte über meine nicht gemachte Karriere als Fremdsprachensekretärin nach. Hätte ich mich an Pomps und Bluse
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