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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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gewöhnt?
    Bestimmt hätte ich niemals Richard Weber kennen gelernt. »To your delight, a la delizia, avec délice …«
    Wo konnte er der inneren Logik seines Denkens und Handelns nach stecken? Keinesfalls in einer Höhle! Aber was gab es auf der Alb für ihn zu tun, was nicht vom Schreibtisch aus zu machen gewesen war?
    Ich zündete mir eine Zigarette an und blickte auf die Marktstände hinab. Es wurde Zeit, dass man den Pfingstmontag den Heuschrecken opferte, dann hätte ich jetzt aufs Rathaus gehen oder das Büro der Natra GmbH stürmen und mit den Sekretärinnen flirten können, damit sie mir sagten, ob ein Herr Weber vorgesprochen hatte, wo der Geschäftsführer sich herumtrieb und ob er die Bücher schönte.
    Ein Kind schlug neben mir der Länge nach zwischen den Tischen hin und fing nach einer Schrecksekunde an zu brüllen. Eine der gestylten Mütter sprang auf und versuchte es mit Apfelsaft abzulenken.
    Ich nahm mein Handy aus der Jacke. Wieder keine Antwort von Richard. Ein Mal hatte sich ein Kind gemeldet, als ich vergangene Woche sein Handy ansteuerte. Aber die letzten Tage klingelte es nur noch im Leerlauf. Eine Höhlenleiche war auch nicht gerade das, womit man den Staatsanwalt hätte locken können. Richard konnte keine Leichen sehen. Außerdem hatte ein Toter in der Mondscheinhöhle absolut nichts mit wirtschaftspolitischen Mau scheleien, Ernst Schorstel, der Natra und dem Truppenübungsplatz und deshalb auch nichts mit ihm zu tun.
    Oder doch? Eine unbekannte Höhle eignete sich gut, um einen Staatsanwalt zu entsorgen.
     

6
     
    Ich ließ Brontë die Zügel schießen. Sie nahm die landschaftlich schönen Kurven nach Münsingen an der Südflanke des Trüpl entlang mit hundert und mehr, bis mich ein Golf im Sightseeingtempo bremste. Ich hupte. Das war nicht fair, aber schließlich musste auch Brontë Ungerechtigkeiten ertragen. Zum Beispiel war sie in Münsingen auf dem Fußweg die Einzige gewesen, die einen Strafzettel bekommen hatte.
    Unter heraufziehenden Regenwolken rollte ich durch Gomadingen zum Bernloch und näherte mich Steinhilben von Norden. Auf dem Feldweg zum Wald am Lippertshorn stand ein weißgrüner Wagen.
    »Da könnet Sie net weiter«, sagte der Polizist.
    Ich zückte meinen noch gültigen gewerkschaftlichen Presseausweis. »Ich … ich habe einen Verdacht, wer der Tote ist, der da gerade aus der Mondscheinhöhle gebor gen wird«, behauptete ich, und meine Stimme rutschte mir weg dabei.
    »Na wendet Se sich an den Polizeiposchte Trochtelfinge. Hier könnet mer Se net durchlasse. Wegen der Einsatzfahrzeuge.«
    Ich war nicht in Stimmung, mich zu streiten. So wenig streitlustig hatte ich mich überhaupt noch nie in meinem Leben gefühlt. Ich orgelte Brontë rückwärts zur Landstraße zurück und fuhr nach Steinhilben hinauf. Im Sturmschritt bog ein Mann mit Hut, Stock und Pfadfinderrucksack wie dem Wanderparkplatzschild entsprungen um das Schul- und Rathaus auf die Straße. Ich bremste, hielt und leierte das Fenster herunter. »Grüß Gott, Herr Schreckle!«
    Der Mann blickte sich um und übersah vor lauter weißem Porsche mich.
    »Hallo, hier bin ich, im Auto.«
    Bodo Schreckle beugte sich und schärfte seine knallblauen Augen zuseiten einer Hakennase. »Oh, ah! Ich habe Sie gar nicht erkannt.« Er zog den Hut. »Grüß Gott, Herr … äh …«
    »Lisa Nerz«, sagte ich.
    »Was? Bitte? Oh, ah! Entschuldigen Sie. Das ist mir jetzt aber sehr peinlich. Aber Ihre … Ich bitte tausendmal um Vergebung.«
    »Sie meinen meine Krawatte«, lächelte ich und riss mir den Binder vom Hals. »Eine blödsinnige Maskerade. Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, Herr Schreckle.«
    Dazu sagte er nichts, aber jede Falte seines Gesichts verriet die abgeklärte Überlegenheit des Alters über die Selbstdarstellungszwänge der Jugend, zu der ich aus sei ner Perspektive noch gehörte.
    »Sie könnten mir vielleicht helfen«, sagte ich. »Ich suche dringend einen Zugang zur Mondscheinhöhle, der nicht über den Feldweg führt, wo wir uns gestern getroffen haben. Da steht nämlich die Polizei und lässt mich nicht durch.«
    »Hm. Aber ein Stückle müssten Sie schon zu Fuß gehen.«
    »Kein Problem.«
    Er blinzelte. »Aber erst müssten wir fahren.«
    »Steigen Sie ein.«
    Etwas knielahm, aber zackig, klappte sich Bodo Schreckle im Beifahrersitz meiner kleinen Brontë zusammen und rasterte mit schmalen Augen die übers la ckierte Blech verstreuten Armaturen ab: die silbrige Belüftungswahl mit den blauen und

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