Höhlenangst
kann sie mich vor meinem eigenen Sohn lächerlich machen.«
»Ich habe deinen Sohn nicht lachen sehen.«
Harks wintergraue Augen stiegen bis zu meinen hoch. »Na gut, ich hätte es wohl eh nicht mehr lange verbergen können. Jetzt haben die Leute halt wieder was, worüber sie sich die Gosch zerreißen können. Dabei können sie dann auch all die alten Geschichten wieder aufwärmen.«
»Es tut mir Leid, Hark.«
»Du kannst ja nichts dafür.« Er fuhr sich über die Haa re und ließ den Blick etwas angestrengt über die mittlerwei le ziemlich zertrampelte Lichtung schweifen. Dann räusper te er sich wieder. »Was ist, willst du eigentlich auf die Bul len warten?«
Ich schüttelte den Kopf. »Was sollen die hier auch groß tun.«
»Dann würde ich gern auf dein gestriges Angebot zurückkommen.« Er deutete das Flirtlächeln an, das kein Mann verlernt, auch wenn er innerlich tot ist. »Schlagen wir uns in die Büsche?«
»Dann aber gleich, ehe Janette zurückkommt.«
20
Den Höhlen war nicht auszukommen. Hinter Westerheim wies ein Schild zur Schertelshöhle. Eng falteten sich Berge und Täler zusammen. Hark hatte mir Forellen versprochen. Und dazu mussten wir offenbar nach Mühlhausen im Tale. Das lag an der Autobahn Stuttgart-München.
»Übrigens«, sagte er, »mit Achim Haugk habe ich mal etwas ziemlich Seltsames erlebt.« Er lenkte den Cherokee auf die Hauptstraße von Mühlhausen. Dort stand, unübersehbar und mit Parkplatz ausgestattet, das Wirtshaus zum Eseleck . Im Windfang über den Stufen zum Gastraum verstaubte eine ausgestopfte Gans. Ein ebenfalls ausgestopfter Eselskopf wuchs links aus der Wand heraus. Die Wirtin begrüßte Hark mit Handschlag und führte uns, vorbei an Dammhirschgeweihen und einem Aquarium ohne Wasser mit Forellen aus Plastik zu einem Erker, in den ein Schild mit der Aufschrift »Zum Eseleck« deutete.
»Forellen!«, verlangte Hark, als die Wirtin die Kerze auf dem runden Tisch anzündete, und öffnete eines der Fenster, weshalb ich darauf verzichtete, mir die Jacke auszuziehen.
Nachdem die Getränke bestellt waren, konnte ich endlich fragen: »Und was war mit Achim Haugk?«
»Es war im Mordloch.«
Ich musste lachen.
»Höhlen, die Mordloch heißen, gibt es haufenweise«, raunzte er, halb bereit mitzulachen. »Die, um die es geht, liegt gar nicht weit von hier.« Er deutete vage Richtung Nordosten. »Dort, wo die Eisenbahnzüge den Albanstieg hochkriechen, an der Geislinger Steige in den Eibenwäldern bei Eybach. Sie ist übrigens die drittlängste Höhle auf der Schwäbischen Alb, über vier Kilometer lang, eine aktive Wasserhöhle, enge, verzweigte Gänge, mal mehr, mal weniger überflutet.«
Mir fiel ein, dass hier in der Gegend auch der Todsburger Schacht liegen musste. Nämlich genau gegenüber, jenseits der Autobahn in dem bewaldeten Berg, den ich durchs Erkerfenster hinter Hark aufsteigen sah. Meine Magenwände fröstelten. »Und was ist passiert im Mordloch?«
»Vier oder fünf Jahre dürfte das jetzt her sein. Eher fünf. Das genaue Datum musste ich in meinen Höhlenprotokollbüchern nachschauen. Eines Tages rief er mich an und stellte sich als Achim Haugk vor. Er sei Sporttaucher, und ich sei doch der Spezialist fürs Mordloch. Ich fragte ihn, in welchen Höhlen er getaucht habe. Er nannte den Blautopf, was ich ihm aber nicht abgenommen habe, und die Falkensteiner Höhle bei Urach. Die konnte er immerhin etwas genauer beschreiben. Das hat mir genügt, denn die Falkensteiner Höhle ist deutlich schwieriger als das Mordloch. Das stellt für Taucher eigentlich keine große Herausforderung dar. Wenn man durch den ersten Siphon durch ist, geht es zu Fuß kilometerlang durch enge Gänge.«
»Nur damit wir uns richtig verstehen: Ein Siphon ist …«
»… eine Stelle, wo der Gang unter den Wasserspiegel taucht. Im Mordloch kommt man nach hundert Metern zum ersten Siphon. Er steht, je nachdem, ob es geregnet hat, zwischen fünfzehn und sechzig Meter unter Wasser. Ich besaß damals allerdings keine komplette Tauchausrüstung mehr. Und Zeit für die Planung hatte ich auch nicht.
Aber Achim wollte die Planung übernehmen und die Ausrüstung stellen. An einem Samstag Ende August hol te er mich mit seinem Wagen in Laichingen ab. Nicht weit weg von der Höhle ist ein Grillplatz. Da zogen wir uns die Neoprenanzüge an. Zum Höhleneingang muss man dann noch ein bisschen hinaufkraxeln. Das Wasser stand niedrig. Achim hatte drei Sauerstoffflaschen dabei, eine für mich
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