Höhlenangst
ertränkte.
»Ich war mir auf einmal nicht mehr sicher, ob Achim wirklich seiner Freundin unsere Rückkehrzeit genannt hatte. Ich zweifelte, ob Sibylle klar war, wo ich mich befand. Ich hatte es ihr zwar mitgeteilt, aber es hatte Streit gegeben, weil ich sie wieder mal samstags mit Gerrit alleine ließ. Meinen Eltern hatte ich nichts gesagt. Wenn es ganz dumm lief und Achim im Siphon ertrank, würde in Wochen niemand kommen und mich holen.«
Geschickt löste Hark das Forellenfilet erst auf der einen, dann auf der anderen Seite, ohne dass auch nur eine der langen, biegsamen Gräten im Fleisch haften blieb. Ich dagegen zupfte mir nur noch pieksende Fäden aus dem Mund.
»Kurzum, wenn ich aus eigener Kraft aus der Höhle hinauskommen wollte, dann musste ich es gleich tun, ehe der Siphon so voll lief, dass ich die Strecke ohne Flasche nicht mehr bewältigen konnte. Noch war das Risiko für mich kalkulierbar. Ich musste mich links an der Wand halten, denn rechts zweigt ein Gang ab, in den ich mich nicht verirren durfte. Das Wasser war halbwegs klar. Ich kam durch, aber keine Spur von Achim. Sein Auto stand auch nicht mehr auf dem Parkplatz. Die Leute auf dem Grillplatz verhalfen mir dann zu einem Taxi.«
»Na, auf die Erklärung bin ich aber mal gespannt.«
»Als ich nach Hause kam«, fuhr er gleichmütig fort, »stellte ich fest, dass Sibylle Gerrit bei meinen Eltern abgeliefert hatte und weggefahren war, ohne ihnen zu sagen, wo ich war. Achim erreichte ich dann spät in der Nacht auf seinem Handy. Seine Erklärung lautete, die Sauerstoffflaschen seien beide zu leer gewesen, um mich damit zu holen. Er selbst besaß keinen Kompressor. Er habe erst zu einem Kameraden nach Tübingen fahren müssen, um die Flaschen wieder zu füllen. Eine Fahrt je zwei Stunden hin und zurück. Nicht mitgerechnet das Befüllen. Zudem habe er kaum laufen können. Nach insgesamt sechs Stunden sei er in stockfinstrer Nacht wieder an der Höhle gewesen. Dennoch habe er den Siphon durchtaucht, aber in der Höhle keine Spur von mir entdeckt. Deshalb habe er angenommen, dass ich wohlbehalten herausgekommen sei.«
»Dann hat er gelogen. Er hätte die beiden Sauerstoffflaschen finden müssen.«
»Nicht unbedingt. Sie lagen in der Gammahalle, und der Aufstiegsschluf ist für jemanden mit einem kaputten Fuß praktisch nicht zu schaffen.«
Ich grub die Bäckchen aus dem Fischkopf.
»Und warum hätte er lügen sollen?«, gab Hark zu be denken. »Wenn er sich selbst die Rückkehr nicht zutrau te, hätte er die Höhlenrettung schicken können.«
Ich legte Gabel und Messer quer über den Grätenmüll auf meinem Teller. An diesen Viechern war ja auch nichts dran. »Vielleicht«, sagte ich und nahm die Armbanduhr ab, die mir nicht gehörte, »war das Achims Problem: Lieber hätte er dich verrecken lassen, als ein Desaster bei einer Höhlenfahrt einzuräumen, die er geplant und bei der er den entscheidenden Fehler gemacht hatte.«
Hark lachte. »Genau das habe ich ihm auch vorgeworfen.« Sein Blick waberte desinteressiert über die Uhr hin zu meinem Teller. »Schmeckt es dir nicht? Sie kochen die Forellen in einem Sud aus Sellerie, Lorbeerblättern und Gewürznelken.« Sein Fisch bestand offensichtlich auch aus wesentlich mehr essbaren Teilen als meiner.
»Doch, sehr gut«, behauptete ich und stocherte ein Krümel Fischfleisch hervor, aus dem nach allen Richtungen Gräten herausspießten. »Aber ich habe nicht Tierpräparator gelernt wie du. Und wo war Sibylle an diesem Wochenende?«
»Das weiß ich nicht mehr. Mit Janette in London, Pa ris oder Berlin, was weiß ich.«
»Du hast also auch nicht zugehört.«
Hark öffnete mir seine wolkengrauen Augen. »Nein. Ich habe ihr auch nicht zugehört.«
»Warum habt ihr euch nicht scheiden lassen?«
Hark legte das Besteck hin und griff nach dem Bierglas.
»Wer von euch beiden wollte nicht? Du oder Sibylle? Du hättest ja ihren reichen Vater verloren. Diese Höhlentouren kosteten doch sicher ein Heidengeld.«
»Stimmt. Aber ich hatte Sponsoren.«
»Wen zum Beispiel?«
»Laichinger Unternehmer. Räffle oder …«
»Alfons Schorstel mit seinem Naturtextilienhandel?«
Hark nickte. »Und ich habe durchaus an Scheidung gedacht.«
»Wann? Als du mit Janette zusammen warst?«
»Auch, aber nicht wegen Janette. Das … das war … Sag mal, du weißt aber ziemlich gut Bescheid.«
»Frauen reden miteinander, wenn sie die Küche aufräumen«, sagte ich.
»Dagegen bin ich wohl machtlos.« Er leerte sein
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