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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Erste-Hilfe-Kasten zu plündern und meine Schürfwunden an den Unterarmen, einen abgerissenen Fingernagel und eine Schramme an meinem Kinn zu verarzten, während ich mich an ihrem Duft aus Haarwaschmittel, Weichspüler und Bürostressschweiß berauschte.
    »Florian würde sich nie meinetwegen mit jemandem prügeln. Er nennt das Deeskalationsstrategie.«
    Ein ferner Donnerschlag ließ uns aufhorchen. Die Amseln, die den Abend einsangen, waren für einen Augenblick still. Janette schüttelte den Kopf. »Auf den Wetterbericht kann man sich wirklich nie verlassen.« Sie tupfte Jod. »Aber das glaube ich einfach nicht, dass Hark mit einem defekten Seil klettern geht. Wenn Gerrit daran gehangen hätte!«
    »Wann hat Hark denn zum letzten Mal dynamische Seile verwendet?«, fragte ich.
    Janette blickte auf.
    »Doch wohl in jenem Sommer, als er mit Sibylle klettern übte. Der Schnitt im Seil könnte drei Jahre alt sein.«
    Sie vertupfte sich.
    »Und das bedeutet …«, begann ich.
    »Das bedeutet, er wollte Sibylle damals wirklich umbringen!«, vollendete Janette mit halb gelähmter Stimme. »O Gott, Lisa! Dann wollte er das wirklich tun!« Sie sank neben mir auf den Wannenrand und drückte den Handrücken gegen die Stirn, in den Fingern den jodgelben Wattebausch. »Dann war es also doch Mord! Dann hat er sie umgebracht im Todsburger Schacht. Eiskalt, lange geplant.«
    »Das war es doch, was du wissen wolltest, Janette. Ob er es nun war oder nicht. So ist das bei Einer wird Detek tiv. Es ist immer C oder die längste Antwort. Ob es einem passt oder nicht. Und dann hat man keine Freunde mehr, und man kann auch nicht mehr hoffen, dass er zu einem zurückkommt.«
    »Du bist zynisch! Du bist so verdammt widerwärtig, Lisa!« Tränen tropften. »Ich hasse dich!«
    »Seht!«, sagte ich.
    Sie schnippte die Tränen aus den Wimpern und blickte mich an, nah und wild. »Ich wollte nie glauben, dass Hark Sibylle getötet hat, aber … verdammt! Sibylle war meine beste Freundin. Ja gut, ich habe sie betrogen. Aber sie war doch trotzdem meine Freundin. Wir haben so viel zusammen erlebt. Warum musste sie sterben? Es macht mich manchmal fast verrückt, dass ich so gar nichts weiß. Ja, wenn Hark wenigstens hätte beschwören können, dass er es nicht war, dann hätte man immerhin sein Wort gehabt, dann hätte man etwas gehabt, was man hätte glauben können … oder auch nicht. Aber diese Ungewissheit! Nichts ist klar. Nichts!«
    »Seht, Janette! Denk doch mal nach. Was wäre passiert, wenn Sibylle im Sommer vor drei Jahren wirklich in einem Kletterpark tödlich verunglückt wäre?«
    Janette knietschte sich den Rest der Tränen aus den Augen. »Ja, was?«
    »Dann hätte es eine polizeiliche Untersuchung gege ben. Und ein angeschnittenes Seil hätte Hark sofort hinter Git ter gebracht. Glaubst du, er wäre so blöd gewesen?«
    »Verdammt! Warum machst du mich dann ganz kirre mit deinem Geschwätz, dass der Schnitt drei Jahre alt ist?«
    Kirre, jawohl! Zahm wollte ich sie haben. Dankbar.
    »Ich wollte nur wissen«, sagte ich sanft, »wie du heute zu Sibylle und Hark stehst. Wenn du Hark den Mord nicht zutraust, dann hat er ihn so lange nicht begangen, wie man ihn ihm nicht nachweisen kann. So einfach ist das!«
    Janette seufzte. Nichts war einfach.
    »Übrigens«, fiel mir ein. »Besitzt du eigentlich den Bericht, den Winnie damals vom Unglück im Todsburger Schacht angefertigt hat?«
    »Ja, warum?« Sie stand auf, warf den Jodbausch weg und müllte das Verbandszeug in den Schuhkarton zurück.
    »Vielleicht enthält er etwas, was uns … dir weiterhilft.«
    Sie lächelte finster zu mir herüber. »Was willst du da entdecken, Lisa, was mir und Bodo und wer weiß, wem noch, nicht schon hätte auffallen müssen?«
    »Ein blindes Huhn, das weißt du doch!«
    Wir verließen das Badezimmer und begaben uns zwei Schritte hinüber in die Besenkammer, in der Janette beim Schreiben rauchen durfte, oder umgekehrt, beim Rau chen schrieb. Dort standen im Regal zwischen Bügeleisen und Staubsaugertüten Pappschachteln voller Papiere. »Ich hab’s gleich«, murmelte Janette. Eine Schachtel öffnete sich und ergoss ihren Inhalt auf den Boden.
    »Was bist’n so nervös?«, fragte ich. So hatte ich mir das mit dem kirre nicht gedacht. »Was ist denn eigentlich los heute?«
    Janette seufzte. »Florian und Laura wollten schon vor einer Stunde wieder zurück sein.«
    Ach du meine Güte! Muttersorgen. »Ruf sie doch an.«
    »Damit Florian mich wieder ausschimpft,

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