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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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seine Ansprüche auf mich – nie ernstlich bedroht sah, wenn ich beispielsweise auf Janettes Hinterbacken linste. Aber dass er Hark nicht augenblicklich den Fehdehandschuh vor die Füße warf, war nur seiner kreuzbürgerlichen Erziehung zu verdanken. Oder dem Umstand, dass er zwar in Tübingen Jura studiert, aber keiner schlagenden Verbindung angehört hatte.
    Oder der Gegenwart von Gerrit.
    Während der Junge, vom Vater gesichert, kletterte, stellte Richard Fragen, die ihn nicht interessierten, und Hark spulte seine Standardsätze ab. »Das Risiko ist durchaus kalkulierbar, Herr Weber, wenn man alle Vorsichtsmaßnahmen beachtet. Warme Kleidung, Lampen, Wasser und Nahrung, alle lebenswichtigen Geräte doppelt ausgelegt …«
    »Dennoch ist Ihre Frau verunglückt, nicht?«
    »Ja.«
    Eine Stunde später hatte Gerrit seine Grenzen ausgetestet und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Hark zwinkerte mir zu und deutete mit dem Kinn zum Wilden Hund.
    »Nein!«, wehrte ich ab.
    »Deshalb bist du doch hier«, lockte er.
    »Quatsch. Du hast beschlossen, dass wir hier klettern.«
    »Aber es war Liebe auf den ersten Blick. Immer, wenn du dachtest, es sieht keiner, hast du dir die Routen auf dem Wilden Hund angeschaut.«
    Der Block war nicht hoch, aber er buckelte senkrecht, teilweise überhängend und glatt wie ein Dinosaurier in den Himmel.
    »Über die schräge Kante oberhalb der Höhlen könntest du hoch«, fantasierte Hark, »dann nach rechts hinüber und von dort schräg links hinauf.«
    »Bitte, tu dir keinen Zwang an«, sagte ich. »Aber ich warne dich: Ich lasse dich verhungern da oben. Oder ich hole die Bergwacht.«
    Richard runzelte die Stirn und spielte nachdenklich mit dem dritten Seilbündel, das wir noch nicht benutzt hatten.
    »Also gut«, sagte Hark. »Zuerst ich, dann du. Versprochen?«
    »Mal sehen.«
    Hark legte sich die Ausrüstung an, und ich beeilte mich, sein Seil zu ordnen. Den zerklüfteten Einstieg bewältigte er zügig. Ich hatte nur wenige Minuten, Richard meine Frage zu stellen. »Was hat Winnie gewusst?«
    Er zog ein Papier aus der Jackentasche und entfaltete es über dem Seilbündel, das er in der Hand hielt. Es zeig te ein mit ungelenker Hand gestricheltes Gewirr von Röh ren. »Hier«, sagte er und deutete mitten hinein, »hier hat er das Handy gefunden, sagt er.«
    Ich sah nichts, denn ich musste meine Aufmerksamkeit zwischen dem Zettel und dem Mann in der Wand teilen. Hark krebste gerade die Querleiste über der Höhle entlang. »Mehr nach links!«
    Auch Richard blickte hinauf. »Da braucht man Kraft in den Händen.«
    »Kletterer trainieren das. Einarmige Klimmzüge an zwei Fingern.«
    »Und wie oft trainiert der?«, fragte Richard. »Dreimal die Woche?«
    Ich stutzte. »Du bist ja nur neidisch.«
    »Worauf, Lisa?« Sein Gesicht war ziemlich asymmetrisch.
    Na gut, wenn er nicht darüber reden wollte. »Wo genau will Winnie dein Handy gefunden haben?«
    Richards stumpfer Zeigefinger landete nicht im Gestrichel des Toten Endes.
    »In der horizontalen Röhre?«
    »Ja, so hat er das genannt.«
    Hark war am Riss angelangt, von dem aus es über ein paar verzwickte Trittstellen zum Gipfel ging.
    »Ich habe in die Röhre geschaut«, raunte ich Richard zu. »Da war kein Handy. Außerdem war Janette gestern der Meinung, das Handy könnte oben auf dem Grillplatz liegen geblieben sein.«
    »Warum sollte Winnie mich belügen?«
    Gute Frage. »Wahrscheinlich hat er dich nur verarscht.«
    Mit ein paar kraftvollen Zügen hatte Hark den Gipfel erreicht. Er klinkte das Seil in den Umlenkhaken und ließ sich in den Sitzgurt sinken. Ich hielt gegen.
    »Bereit?«, rief Hark von oben.
    »Bereit!«
    Er stieß sich ab, und ich gab ihm Seil.
    Harks Augen leuchteten nicht weniger als die seines Sohnes nach seiner ersten vollendeten Tour. »Sie auch mal, Herr Weber?«
    Richard steckte den Zettel weg. »Nein, danke.«
    »Dann du, Lisa. Du hast es versprochen.« Zwischen Harks Brauen saß eine kleine senkrechte Falte. Plötzlich ahnte ich, was seine Qualität als Expeditionsleiter ausgemacht haben musste: niemals nachgeben. Er nahm Richard das blaue Seil weg und knüpfte es auf.
    »Na gut. Probieren kann ich es ja.« Ich gab nämlich auch niemals nach, außer immer dann, wenn es mir taktisch klug erschien.
    »Wollen Sie Ihre Freundin sichern, Herr Weber?«
    »Danke für Ihr Vertrauen, Herr Fauth, aber es wäre mir arg, wenn ich Ihren Schatz fallen ließe!«
    »Idioten!«, schimpfte ich.
    In Harks Lächeln loderte

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