Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
der Triumph des Athleten über den Bürohengst. Mit zeremonieller Besorgtheit prüf te er den Knoten an meinem Sitzgurt und den Schraubverschluss des Karabiners, schlang sich das Seil um die schmale Hüfte und suchte breitbeinig festen Stand.
    Einer Eidechse aus zwei Metern Entfernung zuschauen, wie sie eine Wand hochhuschte, und selbst diese Wand erklimmen, war ein Unterschied wie Himmel und Hölle. Direkt am Felsen sah man keinen Meter weit. Hark dirigierte meine Hände und Füße mit Augenmaß und mit bezwingender Geduld. So wie er einst Sibylle überredet haben musste, sich ihm und dem Stein anzuvertrauen.
    Die Haut des Dinosauriers, auf dem ich herumkrabbelte, war rissig und spröde, Vorsprünge zum Festhalten gab es kaum. Da halfen die Kletterschuhe mit ihren radiergummiklebrigen Sohlen.
    Schon im unteren Drittel war mir klar, dass ich es nicht schaffen würde. Das unterschied mich fundamental von einem Besessenen wie Hark. Ich konnte verzichten. Dachte ich. Aber beim Klettern sollte man nicht denken. Der entscheidende Unterschied zwischen Hark und mir war, dass ich aus Mutlosigkeit Fehler machte. Das konnte lebensgefährlich werden.
    Wenn man abrutschte.
    Und wenn dabei das Seil riss!
    Es schoss aus den Karabinern heraus und über mich hinweg wie ein Strich und klatschte abwärts an den Felsen. Das blaue Seil, das Richard die ganze Zeit in der Hand gedreht hatte, das Hark nicht kontrolliert hatte. Das dritte Seil. Das alles blitzte mir durchs Hirn, während ich rutschte. Ich sah die Sanitäter mit der Trage herbeirennen, den Notarzt nachfordern, den Leichenwagen heranrollen. Nach meiner Beerdigung spürte ich auf einmal einen Stopp unter meinem Fuß und handelte mich auf Krankenhaus und Querschnittslähmung hoch. Dann kam mir ein Sicherungsbolzen in die Finger, und ich verband nur noch Schürfwunden.
    Stillstand.
    Hatte jemand was gesagt oder gerufen? Ich sah sie nur eulenäugig zu mir heraufstarren. Hark nah an der Wand, als hätte er mich auffangen wollen.
    »Ich bin okay«, sagte ich. Im Grunde war meine Lage ganz komfortabel. Weit entfernt von Lebensgefahr. »Nix passiert.«
    Ohne Vorwarnung sprang Richard Hark an den Kragen und schleuderte ihn ins Grün. Hark überkugelte sich und sprang dann vom Boden hoch wie ein Tiger.
    »Papa!«, kreischte Gerrit.
    »He!«, rief ich.
    Aber mein Geschrei hätte nichts genützt. Im Gegenteil. Nur ein kleiner Junge konnte Richard noch daran erinnern, wie tief er Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung ablehnte. Hark legte zwar noch einen Schlag nach, aber Richard wich der Faust mit einer knappen Bewegung aus, trat zurück und hob die Hände.
    »Papa!«, schluchzte Gerrit und drängte sich an seinen Vater.
    Auch Hark kam zur Besinnung. Alle blickten mal kurz zu mir hoch. Dann sagte Richard eisig: »Wenn Lisa etwas passiert wäre, wären Sie jetzt tot!«
    »Aber Sie hatten doch das Seil die ganze Zeit!«, antwortete Hark genauso kalt.
    »He!«, rief ich. »Könnte vielleicht mal jemand …«
     

24
     
    »Es war glatt durchgeschnitten, bis auf ein Kardeel. Wir hätten doch die Polizei holen sollen«, sagte Richard.
    Ich bewunderte immer wieder die Leichtigkeit, mit der er Fachbegriffe aus den Grüften seines Gedächtnisses beförderte. »Was bitte ist ein Kardeel?«
    »Eines der Bündel von Fäden, aus denen ein Seil geschlagen wird.«
    »Geschlagen?«
    »Gedreht, Lisa.«
    Delikaterweise hatte er Hark sichern müssen, damit er zu mir hochklettern und mich wieder mit einem Seil versorgen konnte.
    »Er kann nicht vorgehabt haben, mich umzubringen«, sagte ich, während wir in Richards Limousine über die Autobahn rasten. »Wozu auch? Ich weiß doch gar nichts!«
    »Vielleicht wollte er mich in Schwierigkeiten bringen«, antwortete Richard. »Oder wie du das nennst: mich verarschen?«
    »Hör mal! Bis heute früh wusste Hark nicht einmal, dass du existierst. Wie hätte er da etwas planen können? Außerdem zielt nicht alles, was mir zustößt, auf dich, Richard. Da überschätzt du deine Bedeutung als Staatsanwalt doch ein bisschen, furchte ich.«
    Er warf mir trotz der Zweihundert einen raschen Blick zu.
    »Übrigens, meinst du nicht, es sei an der Zeit, mir zu sagen, was du hier oben wirklich machst, Richard?«
    »Urlaub, Lisa. Heute Abend gehe ich zum Beispiel ins Konzert.«
    »Mit Hildegard?«
    »Jawohl.«
     

25
     
    Janette kicherte. »Und dein schicker Staatsanwalt hat sich wirklich mit Hark geprügelt?«
    Ich saß auf dem Badewannenrand. Sie war dabei, den

Weitere Kostenlose Bücher