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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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riss Janette in den Schutz zweier Feuerwehrwagen auf die Straße. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig … Es knallte nicht. Ich atmete wieder aus.
    »Was machen Sie hier!«, brüllte uns da auch schon ein anderer Feuerwehrmann an. »Wer hat Sie überhaupt durchgelassen?«
    »Die Presse hat ein Recht auf Information!«
    »Rufen Sie den Pressesprecher der PD Reutlingen an! Und jetzt weg hier! Es besteht Lebensgefahr!«
    »Komm, Janette!«, zupfte ich. »Er hat Recht. Du hast dein Foto.« Ich bin ein Schisser, was Knallkörper betrifft, ich geb’s ja zu.
    »Was ist denn eigentlich los?«, keuchte Janette, während wir zu Brontë zurückhetzten.
    »Weißt du wirklich nicht, was das eben war? Das war eine Mine, eine Landmine. Janette, da ist ein Transporter mit Landminen explodiert.«
    »Landminen?« Sie lachte. »Wo sollen die denn herkommen?«
    »Aus Münsingen.«
    »In Münsingen ist nichts mehr. Und außerdem transportieren die ihre Minen doch nicht einfach so über Landstraßen. Das ist doch ein Gefahrguttransport.«
    »Eben!«
    Über Oberstetten, Hohenstein und Meidelstetten näherten wir uns, während die Dunkelheit einfiel, dem Aufgebot der Feuerwehr noch einmal von Norden. Dort stieß Janette auf den Feuerwehrhauptmann von Engstingen, über den sie mal einen Artikel geschrieben hatte. Der ließ uns zum Krater bringen. Von dem Kleintransporter war nicht viel mehr übrig als schwarzes zerfetztes Blech, verschnurzelte Reifen, verbogene Achsen und eine zerknautschte Fahrerkabine.
    »Den kasch nauskratze, den Fahrer!«, erläuterte der Feuerwehrmann.
     
    »Es war eine AT2«, stellte ich fest, nachdem Janette sich hinter ihrem Schreibtisch im Büro des Reutlinger Tagblatts verschanzt und ich mich am leeren Tisch gegenüber installiert und das weltweite Netz gestürmt hatte. »Eine so genannte Antifahrzeugmine der Firma Dynamit Nobel mit Aufhebsperre. Das heißt, sie geht nicht nur hoch, wenn ein Schulbus darüber fährt, sondern auch, wenn man sie wegtragen will. Sie firmiert nicht unter Antipersonenmine – die international geächtet sind –, sondern unter Antifahrzeugmine, obgleich die Aufhebsperre sie für jedes spielende Kind gefährlich macht. Die Bundeswehr besitzt schätzungsweise 1,2 Millionen AT2-Minen. Sie sehen genauso aus wie der Topf, den du fotografiert hast. Auf so eine Story hast du immer gewartet, Janette!« Sie zupfte an ihren Schläfenhaaren und sah nicht sonderlich glücklich aus. Der Redakteur vom Dienst hatte die Routine eines mit den Jahren angesoffenen Bierbauchs in die Waagschale geworfen und ihr eine Stunde gegeben. Dann lief der Druck an.
    »Schreib irgendwas, Janette!«, drängte ich sie. »Hauptsache, das Foto mit der Landmine geht mit und es fällt dreimal das Wort Münsingen, zweimal das Wort Bundeswehr und einmal das Wort mysteriös!«
    »Nicht auszudenken«, stöhnte sie, »wenn der Transporter mitten in Meidelstetten oder Hohenstein explodiert wäre.«
    »Dann schreib: Knapp einer Katastrophe entgangen sind gestern Abend gegen neunzehn Uhr die Bewohner von Meidelstetten. Aber schreib!«
    »Halt endlich die Klappe, Lisa!« Sie pfefferte einen Kugelschreiber über den Doppeltisch. »Ich weiß selber, was ich tun muss. Wo bleibt nur das Fax von der Polizei!«
    »Warte nicht auf den Polizeibericht. Da sind auf dem beschaulichen Schwäbische-Alb-Weg Landminen in einem handelsüblichen Kleintransporter explodiert. Die Polizei wird den Teufel tun, das kundzutun, bevor sich die Bundeswehr dazu geäußert hat. Und die äußert sich heute Abend nicht mehr. Denn sollten die Minen aus Münsingen stammen, dann wird in ein oder zwei Wochen der Verteidigungsminister zurücktreten müssen.«
    Janette blickte mich an mit einer Mischung aus Schreck und Gier. Auch mir pochte das Blut im Hals. So machte alles Sinn, was mir Richard vor zwei Tagen erzählt hatte: Das Verteidigungsministerium vergibt die Verwaltung der Liegenschaften und des Personals der Bundeswehr an eine private Gesellschaft, die sucht sich in Münsingen eine Untergesellschaft, die phänomenale Einsparungen erwirtschaftet. Erich Schorstel vermutet umdeklarierte Einnahmen. Eine fälschlich verschickte interne Liste führt für das Jahr 2002 zwanzigtausend Landminen auf, die zerlegt und als Schrott verkauft wur den. Und das, obgleich in Münsingen keine Kampfmit tel beseitigungsbrigade stationiert war. Und der Sprengmit telingenieur, der den Trüpl so gut kannte, dass er alles auffliegen lassen konnte, Achim Haugk, steckt tot

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