Höhlenwelt-Saga 02 - Leandras Schwur
Guten wandte - das war schlicht und einfach ausgeschlossen. Irgendetwas würde schief gehen.
Sein Herz wummerte in seiner Brust.
Für eine lange Minute stand er da und bemühte sich, die Fassung nicht zu verlieren. Die Tür zu seinem Arbeitszimmer öffnete sich nicht, der Drakken blieb, wo er war. Wahrscheinlich war er schon wieder verschwunden. Auch sonst zeigte sich niemand auf dem Gang.
Dann schälte sich aus seinen tobenden Gedanken ein einzelnes Wort: Leandra. Er schloss die Augen. Diese Heimsuchung von einer Frau war die unleugbare Schuldige für sämtliche Katastrophen. Ja, sagte er sich, sie würde er sich nun zur Aufgabe machen. Er würde sie kriegen, und er würde sich Zeit lassen, sie qualvoll zu töten, diese verfluchte Hexe. Wenn schon alles untergehen musste, was er erschaffen hatte, dann wollte er wenigstens noch Rache nehmen - auf die grausamste Weise, die ihm nur in den Sinn kam. Sie würde, bevor sie starb, jeden einzelnen Tag bereuen, den sie versucht hatte, ihm Knüppel zwischen die Beine zu werfen - und wenn es das Letzte war, was er tat. Er spuckte angewidert den Zahnsplitter aus und setzte sich langsam in Bewegung.
Dann blitzte noch ein kleiner Gedanke in seinem Hirn auf; der Gedanke, dass er vielleicht doch noch eine winzige Chance hatte - wenn es ihm gelang, Leandra zu töten. Denn er hatte ja noch Alina - und mit ihr winkte das Anrecht auf den Shabibsthron. Er wusste nicht, ob ihn die Palastgarde und alle Mitglieder des Rates anerkennen würden - obwohl es ihre Pflicht war, wenn er einmal den Rang des Shabibs innehatte. Aber darauf musste er es ankommen lassen. War er erst Shabib, würden sich die Drakken vielleicht noch hinhalten lassen. Im Augenblick zählte deswegen nur noch eines: Leandra zu finden und sie zu töten!
Am Treppenaufgang am Ende des Ganges erschienen drei Männer. Golbrin war unter ihnen, ein Schwachkopf, aber ein wegen seiner Kraft und Grausamkeit berüchtigter Magier. Chast lächelte böse. Genau einen solchen Mann brauchte er jetzt.
Er marschierte auf die Männer zu, ging an ihnen vorbei und winkte sie hinterher. »Folgt mir«, sagte er. »Wir gehen in die Stadt. Jetzt dürft ihr zeigen, was ihr könnt.«
Es wurde in der Tat nicht leicht. Leandra musste ständig eine Willensanstrengung aufbringen, die in etwa dem Setzen eines Aurikels der dritten Stufe gleichkam. Für einen Augenblick war das leicht - nicht jedoch, wenn man sich minutenlang konzentrieren musste.
Obwohl Gablina ihre Auflösungs-Aura mit bemerkenswerter Reinheit und Ruhe aufrechterhielt -während Vendar, Hamas und die anderen Nichtmagier die Steinquader loshebelten und beiseite schafften -, mussten die drei Magier, die das Trivocum glätteten, mit äußerster Sorgfalt und Konzentration vorgehen. Die Gefahr war groß, dass man ihre Tat bemerkte, denn es handelte sich nicht um das rasche Wirken einer kurzen Magie, sondern um eine ständige Anwesenheit im Trivocum. Sie alle wussten, dass der Erfolg ihres Vorhabens fast ausschließlich davon abhing, wie lange sie unbemerkt blieben. Wenn ihre Gegner auch nur den kleinsten Verdacht hegten, würde man Vorsichtsmaßnahmen treffen, die das Gelingen ihrer Mission unmöglich machten. Und jetzt, da in der Stadt eine offene Revolte herrschte, war die Bruderschaft sicher wachsam.
Leandra fühlte sich nach ihrem jeweiligen Einsatz von wenigen Minuten erschöpft und nach einer Stunde schon regelrecht ausgelaugt. Denjenigen, die Steine schleppen mussten, ging es kaum besser. Der Gang war eng, die Steine waren groß, und die Mauer war dick, wie sich bald herausstellte.
Meisterin Gablina erwies sich als echte Künstlerin. Eine erste Iterationsstufe hatte sich als zu wirkungsschwach erwiesen, um das Gefüge der Mauersteine genügend zu lockern. Also ging sie in die zweite Stufe.
Es gelang ihr, die Sphäre der Auflösung sehr klein und gezielt zu halten - sie jeweils nur auf einen Mauerstein zu richten. Zu Anfang hatte Gablina es noch vergleichsweise leicht, denn eine zweite Stufe zu wirken, selbst in dieser Reinheit, war nicht sonderlich anstrengend. Nach einer Stunde jedoch begann sie zu leise zu seufzen und bat immer häufiger um Pausen. Schließlich löste Meister Fujima sie ab.
Er war beileibe kein schlechterer Magier, und so ging ihre Arbeit stetig voran. Die Mauer schmolz langsam dahin, aber der Durchbruch wollte ihnen nicht gelingen. Sie hatten nach zweieinhalb Stunden etwa vier Ellen Mauersteine abgetragen, und die Steineschlepper ächzten und stöhnten.
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