Höhlenwelt-Saga 02 - Leandras Schwur
Schreibtisch stand.
Quendras musterte den Stuhl mit misstrauischen Blicken, so als argwöhne er, dass unter seinem Polster eine gefährliche Falle lauere. Dann brummte er etwas, nickte und setzte sich. Ganz im Gegensatz zu seinem eben noch gezeigten Misstrauen nahm er gleich darauf voll und ganz Besitz von dem Sitzmöbel, breitete seine massige Gestalt darin aus, schlug die Beine übereinander und erweckte im nächsten Augenblick den Eindruck, als habe er diesen Stuhl soeben seinem Hoheitsgebiet einverleibt - und werde ihn bis zum letzten Atemzug verteidigen, sollte ihm jemand diesen Anspruch streitig machen.
Mit einer Mischung aus Erstaunen und Belustigung verfolgte Chast das Tun seines Magisters - er verzog dabei natürlich keine Miene. Es bereitete ihm Vergnügen, Menschen genau zu beobachten, besonders solche ungewöhnlichen und eindrucksvollen Leute wie Quendras. Meist half ihm das, sie früh und klug einzuschätzen, um sie dann im Sinne seiner Absichten zu manipulieren. Bei Quendras allerdings war das schwierig.
»Wie stehst du zu der Zurechtweisung, die du dir heute mir zu erteilen erlaubt hast?«, fragte Chast.
Quendras sah ihm geradenwegs in die Augen, mit wachen Blicken, aber kaum beunruhigt. »Zweifellos eine Anmaßung meinerseits«, sagte er. »Dennoch - ich denke, ich lag nicht unbedingt falsch damit.«
Chast nickte kaum merklich. Dass der Mann Mut hatte, bestätigte sich wieder einmal. Gut. Er beugte sich vor und nahm einen Schluck aus einem Wasserglas, das vor ihm stand. Für ein Weilchen studierte er das Glas, das er in der Hand hielt, und setzte es dann wieder ab.
»Ich gebe zu«, sagte er mit fester Stimme, »dass mir mitunter Fehler unterlaufen. Aber das hat einen Grund.«
Quendras starrte ihn nur unverwandt an, und Chast fragte sich, wer hier im Raum eigentlich der Vorgesetzte und wer der Untergebene war. Das Auftreten dieses Quendras hatte ihn in der Tat dazu verleitet, sich rechtfertigen zu wollen.
»Wie schätzt du die Lage der Bruderschaft ein?«, fragte Chast.
»Miserabel«, sagte Quendras - ohne einen Moment zu zögern.
Chast schnaufte. Leiser Unmut stieg in ihm auf.
»So?«
»Ja«, stellte Quendras fest und setzte sich ein wenig aufrechter zurecht. »Wir sind ein miserabel geordneter Haufen.« Damit schloss er offenbar sich selbst mit ein. »Niemand weiß, was anderswo passiert. Es gibt keine vernünftige Kontrolle über die Duuma, die draußen im Land unsere Befehle ausführt, und unser Einfluss auf das Militär ist ... Zufallssache. Gewissermaßen nicht vorhanden.«
»Du übertreibst«, warf Chast scharf ein.
»Ich weiß«, antwortete Quendras. »Aber ich sehe es unter dem Druck der neuesten Ereignisse. Jetzt, da wir handeln müssen, steht zu befürchten, dass uns wichtige Dinge schlicht und einfach misslingen. Und zwar gründlich.«
Chast atmete tief und angespannt ein. Er fasste sein Gegenüber mit stechenden Blicken ins Auge. »Und wessen Schuld ist das?«, fragte er leise.
Quendras starrte ebenso stechend zurück. Für eine Weile erwiderte er nichts. »Sardins Schuld«, sagte er dann.
Chast bemühte sich, seine Erleichterung über Quendras' Urteil nicht nach außen dringen zu lassen. Wäre das Urteil anders ausgefallen - gegen ihn gerichtet -, hätte er nicht einmal sonderlich widersprechen können. Gut, es gab etliche Argumente, die Chast entlasteten, wie zum Beispiel die Unmasse an Dingen, um die er sich kümmern musste, und natürlich, wie Quendras schon eingeworfen hatte, die katastrophale Hinterlassenschaft Sardins, der die Bruderschaft sozusagen im Alleingang regiert hatte. Aber dennoch: Wäre er jetzt gezwungen gewesen, Quendras' Meinung zu entkräften, hätte das seinem Status als Hoher Meister der Bruderschaft schweren Schaden zugefügt.
»Es ist zum Teil auch meine Schuld«, fügte Quendras kalt hinzu.
Chast zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Deine?«
»Ja«, bestätigte Quendras finster. »Ebenso wie Ihr, Hoher Meister, bin ich mit Arbeit überlastet. Ich habe mir erlaubt, die Missstände, die unsere Lage außerhalb von Savalgor betreffen, zu lange zu übergehen. Erst jetzt, da wir uns einer Krise gegenübersehen, wird mir das wahre Ausmaß unserer Probleme bewusst. Ich hätte Euch früher unterrichten müssen.«
Chasts Hochachtung vor seinem Magister wuchs. Er hatte die Verantwortung für die Missstände von den Schultern seines Hohen Meisters genommen und sich damit ihm ausgeliefert. Aber dumm war das beileibe nicht. Er wusste allzu gut, dass er
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