Höhlenwelt-Saga 02 - Leandras Schwur
forderte er seinen Gast mit mühsam beherrschter Enttäuschung auf. Er ließ sich selbst nieder, während sich Rasnor zögernd auf der vordersten Kante des gepolsterten Stuhles platzierte. Chast schnaufte innerlich. Gewöhnlich bereiteten ihm Verstellungs- und Täuschungsmanöver Vergnügen, diesmal aber war es ihm zuwider. Er setzte eine betont gelassene Miene auf.
Als er Rasnor ins Auge fasste, sah er, dass sein Gegenüber nichts von seiner wahren Laune ahnte.
»Dieser Valerian«, sagte Chast im Plauderton. »Ein kluger Bursche, nicht wahr?«
Rasnors Blicke sprachen Bände. Ihm war deutlich anzusehen, dass er Valerian seinen heutigen Erfolg neidete. »Nun, wir hatten zuvor über all diese Dinge gesprochen«, behauptete er. »Ich habe ihm etliche der Zusammenhänge erklärt. Daraus zog er, wie ich zugeben muss, recht kluge Schlüsse.«
Chast hätte Rasnors eitle Darstellung der Tatsachen mit Leichtigkeit zerpflücken können. Aber er verbiss es sich - das war es nicht, was er von ihm wollte. »Wo stammt er her, dieser Valerian? Kennst du ihn schon länger?«
Rasnor hob die Schultern. »Er kam aus Hegmafor. Wir haben vor ein paar Monaten einige Leute von dort angefordert - als wir die Feste von Torgard bezogen. Wir benötigten noch Schreiber, um all die alten Bibliotheken in den unteren Katakomben durchforsten zu können. Bruder Valerian war allerdings der Einzige, den sie uns schickten.«
»Hatte er ein Schreiben bei sich? Eines aus Hegmafor, das ihn auswies?«
Rasnor nickte. »Ja. Ich habe es selbst geprüft. Außerdem hat er ein umfassendes Wissen über die Bücher und Schriften und ...« Rasnor unterbrach sich, und es war nur allzu klar, dass er Valerian soeben auf eine Art gelobt hatte, die ihm in Wahrheit gar nicht behagte. »Nun ja, er hat uns schon einige Dienste geleistet«, gab er zu. »Er ist recht gut im logischen Denken, könnte man sagen.«
»Fein«, sagte Chast. »Vielleicht habe ich eine kleine Aufgabe für ihn. Sorge dafür, dass er nachher zu mir kommt.«
»Ja, Hoher Meister.«
Chast setzte nun eine etwas strengere Miene auf.
»Wie geht es mit deinen Nachforschungen voran?«, fragte er.
Rasnor hob unbestimmt die Schultern. »Das ist schwer zu sagen. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir ein Mittel gegen den Antikryptus finden werden.«
»So? Also doch?«, rief Chast aus. Im nächsten Moment richtete er sich mit einem Schwung auf und begann, im Raum umher zu spazieren. »Woher kommt dein plötzlicher Meinungswechsel?«
Rasnor geriet ins Stottern. »Also ich ... äh, nun ... ich meine, dass wir es durchaus versuchen sollten«, brachte er hervor. »Schließlich bleibt uns kaum etwas anderes übrig! Irgendwie müssen wir diese Gefahr doch beseitigen, nicht wahr?«
Chast war noch mehr enttäuscht von Rasnors flachem Getue und überhörte seine Worte zum großen Teil. »Du bist diesen Drakken nicht begegnet«, sagte er. »Ich schon! Es handelt sich um ein fremdes Volk von außerordentlichem Fortschritt. Sie sind kriegerisch und werden sich holen, was sie brauchen. Ich fürchte, wir haben selbst mit unserer stärksten Magie keine Aussicht, gegen sie zu bestehen. Und sie haben mir unmiss-verständlich klar gemacht, dass sie die Einhaltung des Paktes von uns einfordern werden.«
»Wir müssen Zeit gewinnen«, stieß Rasnor hervor und erhob sich. »Zeit, ein Mittel gegen den Antikryptus zu finden. Wir müssen sie glauben machen, dass wir im Sinne des Paktes handeln.«
Chast blieb stehen und musterte Rasnor. »Wem sagst du das? Ich weiß sehr gut, dass wir Zeit gewinnen müssen. Die Frage ist nur: Wie? Wir haben noch ein paar andere Probleme, die zu lösen sind.«
Rasnor zögerte. »Welche sind das?«
Chast holte Luft. »Vielleicht weißt du nicht, dass unsere Macht auf nicht mehr als achthundert Brüdern beruht! Die meisten davon sind jetzt Angehörige der Duuma. Wir kontrollieren mit ihrer Hilfe das Militär und mit ihm das gesamte Land. Aber nichts garantiert mir, dass jeder von ihnen so handelt, wie ich es erwarte. Ich hatte in den letzten Monaten so viel mit den Belangen des Hierokratischen Rates und anderen, vordringlichen Dingen zu tun, dass mir erst jetzt bewusst wird, in welch traurigem Zustand sich die Bruderschaft befindet!«
Rasnor stieß einen ungläubigen Laut aus.
Chast machte einen Schritt auf ihn zu und deutete mit einem anklagenden Zeigefinger auf Rasnors Brust. »Das glaubst du nicht?«, rief er scharf. »Gut! Dann nenne mir einmal die Zahl der Skriptoren, die in unseren
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