Höhlenwelt-Saga - 08 - Die Magie der Höhlenwelt
nicht alle Orte gesehen, zu denen die Pyramiden führen. Aber wenn das stimmt, so ist Machtgier etwas, wovor
die Baumeister warnen wollen. Erinnerst du dich an das, was Azrani über die Dreieckswelt erzählte? Über all die kleinen Wesen,
die diesen großen Sechsbeinern sklavisch ergeben waren – und
die getötet wurden wie Schlachtvieh, als sie ausgedient hatten?«
Laura nickte stumm.
»Und Jonissar – die großartigen Abon’Dhal, die sogar noch über
eine tote Welt herrschen wollten?« Er seufzte schmerzvoll und
wies auf den Palast von Savalgor, ein Bauwerk von solch gewaltigen Ausmaßen, dass es dem schwebenden Felsen von Okaryn
gleichkam. »Nun sieh dir dies an. Von dort aus wird Akrania regiert, eigentlich die gesamte Höhlenwelt, und nirgendwo gibt es
ein Land, das Akrania an Macht gleichkommt.
Dort im Palast sitzt eine Hand voll alter Männer, die mit geifernden Blicken die Münzen zählen, die sie heute wieder eingeheimst
haben. Es ist ihnen vollkommen egal, was aus den armen Leuten
wird, denen sie das Geld gerade gestohlen haben.
Nächstes Jahr um diese Zeit wird Savalgor wieder im Chaos
versunken sein. Wegen eines weiteren Machtgierigen, der sich
aufgeschwungen hat, wegen eines Aufstandes verhungernder
Leute – oder wegen irgendeiner anderen Schandtat.« Er biss die
Zähne zusammen und ballte eine Faust. »Laura, ich Narr habe
dich in eine Welt mitgenommen, in der alles nur noch schlimmer
ist! Der ganze verfluchte Tanz geht hier wieder von vorn los! Verdammt!«
Laura zögerte nicht, sie wandte sich ihm zu und umarmte ihn.
Er war viel größer als sie, sie hatte Mühe, ihn zu umfassen. Sie
stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf den Mund.
»Wir haben erst eine Welt gerettet«, meinte sie lächelnd, »eine
ganz winzig kleine nur! Noch eine müssen wir mindestens retten.
Ich will doch eine Schwester des Windes werden.«
Ullrik lachte auf. »Du meinst, mit der Befreiung von Jonissar allein können wir uns bei den Schwestern noch nicht blicken lassen?«
Laura drückte sich an ihn, und eine Woge der Wärme durchströmte ihn. Mit einem Mal wurde ihm klar, dass er gerade das in
den Armen hielt, was die einzige Waffe gegen die skrupellosen
Machenschaften der Machtgierigen war: Gutartigkeit und Liebe.
Wieder einmal fühlte er sich in der Rolle bestätigt, in der er sich
so gerne sah: als Beschützer seiner Mädchen.
»Gut«, seufzte er, »dann retten wir einfach noch eine Welt.«
Glücklich lächelnd blickte sie zu ihm auf, so als läge das tatsächlich in ihrer Macht. »Ich liebe dich, mein kleiner Engel«, sagte er und küsste sie.
*
Um die Mittagszeit taten Ullrik vom vielen Umherwandern die
Füße weh, und sie kehrten in einer kleinen, etwas schäbigen
Schenke am Nordende des großen Marktplatzes vor dem Palast
ein. Lauras Energie und Neugierde waren ungebrochen; sie hoppelte unruhig auf der hölzernen Bank hin und her, auf der sie
Platz genommen hatten und warteten, dass ihnen der Schankwirt
die verlangte Mahlzeit brachte.
Staunend betrachtete Laura das schwere Balkenwerk, das die
Decke und die Wände stützte, sah zu den Fenstern hinaus und
warf heimliche Seitenblicke in Richtung eines anderen Gastes – es
war nur einer, und er saß ganz am anderen Ende der Schankstube. Sie untersuchte die dicke Platte des Holztisches, befühlte den
groben Stoff des Sitzkissens, auf dem sie saß, und bestaunte den
ausgestopften Kopf eines Waldmurgos, einer Jagdtrophäe, die an
der Wand hing. Alles und jedes erregte ihre Aufmerksamkeit.
Ullrik beschäftigte sich währenddessen damit, Laura zu studieren. Sie gefiel ihm von Tag zu Tag mehr – wobei sie ihm schon
am ersten Tag ausnehmend gut gefallen hatte. Das war vor Wochen auf Jonissar gewesen, auf einer kleinen Lichtung, wo er ihr
die Jagdbeute abspenstig gemacht hatte. Später hatten sie
Freundschaft geschlossen, hatten sich nach einigen Wirrungen
lieben gelernt, und nun war sie mit ihm gekommen. Seit sie den
Rückweg in die Höhlenwelt gefunden hatten, trug Laura andere
Kleider. Auf Jonissar hatte Ullrik sie meist nur in der Kleidung der
Technos gesehen – oder in seinem Hemd; er musste lächeln, als
er daran dachte. Seit sie hier war, trug sie die Kleider, die Azrani
und Marina ihr gegeben hatten. Sie gefiel ihm in den hellbraunen
Leinenhosen, den weichen, braunen Lederstiefeln und der bestickten Weste über der dunkelroten Tunika – es waren lauter
hübsche, farbenfrohe Sachen, wie sie die jungen Frauen von Akrania
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