Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
sie am Leben ließe. Bei allem, was
ihr an Schlimmem und Entsetzlichem widerfahren war: Sterben
mochte sie nicht.
Erstaunlicherweise blieben sie unbehelligt, während sie das Gebiet der Drakken durchschritten. Dutzendfach wurden sie von
Drakkenaugen gemustert, keines der Wesen aber sprach sie an
oder hielt sie auf. Schließlich erreichten sie den weiten Treppenaufgang zum Palasttor und blieben stehen. »Dann ist es also
wirklich vorbei?«, fragte Hilda niedergeschlagen.
Almas Blick fiel auf ein Wagenrad, das seitlich am Treppenrand
lag; ein Wagenrad, das bei den Kämpfen irgendwo abgerissen
worden und nun hier liegen geblieben war – ein Trümmerstück,
so wie auch der ganze Rest von Savalgor ein Trümmerfeld sein
würde, wenn die Drakken ihr Vorhaben zu Ende gebracht hatten.
Sie dachte an die Verfolgungsjagden, die Drakkentrupps, die
verschleppten Leute und die verwüsteten Straßenzüge. An das
zerstörte Palasttor, an den getöteten Meister Fujima und die Soldaten, die sich todesmutig in den Kampf gestürzt hatten, als es
darum gegangen war, ihr eine oder zwei Minuten Zeit zu verschaffen, um mit Victor und Marie fliehen zu können. Hatte sie
das Recht, jetzt einfach aufzugeben – auch wenn alles noch so
hoffnungslos war?
Sie sah Hilda an, sah ihr lange Zeit mit fester werdendem Blick
in die Augen.
Hilda verstand es. »Gehl«, flüsterte sie. »Schnell! Bevor dich
hier irgendwer erkennt! Ich werde den anderen erzählen, dass ich
dich getroffen habe! Und… dass… irgendwas passieren wird. Geh,
Kindchen! Irgendetwas wirst du erreichen. Ich weiß es!«
Alina löste sich von Hilda. Sie hatte Tränen in den Augen und
nicht den Hauch einer Idee, was sie nun anstellen sollte. Aber wie
es auch ausgehen würde, sie musste es wenigstens versuchen –
und wenn es sie das Leben kostete. Sie mochte nicht als eine
namenlose Shaba, die nur für einen halben Tag regiert hatte, von
der Geschichtsschreibung vergessen werden. Dann wollte sie
schon eher als eine in Erinnerung bleiben, die zwar nur einen Tag
unter dem Terror der Drakken überlebt, aber wenigstens etwas
versucht hatte!
17
Hoffnungsfunke
Bei Einbruch der Dämmerung war Alina wieder im Hafen.
Offenbar hatte sie ihr Instinkt hierher zurückgetrieben. Im Hafen kannte sie sich wenigstens ein bisschen aus, wusste ein Versteck und…
Der Gedanke an Matz war beruhigend und beängstigend zugleich.
Sie scheute sich, das Wort in ihren Gedanken überhaupt nur zuzulassen, aber genau genommen war er im Augenblick ihr einziger Freund. Außer ihm gab es niemanden mehr, an den sie sich
hätte wenden können oder der ihr gar geholfen hätte. Nur Matz,
den Mörder.
Die Vorstellung, ihn zu suchen, jagte ihr einen kalten Schauer
über den Rücken. Doch wie sie zuvor schon festgestellt hatte: Sie
würde gut daran tun, ihre Zimperlichkeit zu überwinden. Besonders, nachdem sie auf den Treppenstufen des Palasts umgedreht
hatte, um doch Widerstand zu leisten, um sich und Akrania nicht
einfach der Willkür der Drakken auszuliefern.
Sie musste nun versuchen, aufs Ganze zu gehen. Vielleicht waren skrupellose Mörder genau das, was sie benötigte, um einen
ersten Hoffnungsfunken erglühen zu lassen. Vielleicht war der
einzig mögliche Weg der, eine Rebellenarmee im Untergrund aufzustellen, ein Heer verwegener Kämpfer um sich zu sammeln, die
sich eines Tages erheben und die Unterdrücker verjagen würden.
Natürlich würde ein solcher Plan sehr viel Zeit in Anspruch nehmen, aber irgendwann musste der erste Schritt getan werden. So
gesehen war Matz als erstes Mitglied ihrer Rebellenarmee genau
der Richtige, denn er war ihr ergeben. Er würde sie beschützen,
und das war sicher das, was sie selbst im Augenblick am nötigsten hatte. Schutz – und dazu natürlich auch jemanden, der sich in
der Savalgorer Unterwelt auskannte. Wahrscheinlich war Matz
geradezu ideal. Im letzten Tageslicht begab sie sich zurück zum
Lagerhaus am Hafen und schlich ungesehen hinein. Zwischen Kistenstapeln versteckte sie sich und beschloss, erst einmal zu warten. Ihre Skrupel, Matz tatsächlich zu suchen, überspielte sie mit
dem Vorsatz, ihn zu zivilisieren. Sie würde seine Dienste und vielleicht sogar seine Gewissenlosigkeit benötigen, aber dafür würde
sie ihm den Unterschied zwischen Gut und Böse beibringen. Jawohl, das würde sie! Wie müde sie inzwischen geworden war,
merkte sie erst, als sie tief in der Nacht wieder aufwachte. Zwischen den Ritzen der Wandbretter drang das erste,
Weitere Kostenlose Bücher