Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
Leichnam dort unten langsam verfault, dachte
sie bitter.
Nein! Sie hatte sich damals in Unifar nicht selbst getötet und
auch nicht während der qualvollen neun Monate in Chasts Gefangenschaft. Das war nicht ihr Weg. Sie mochte verweichlicht und
ohne Kraft sein, ein verzogenes Kind aus dem Haus einer verbitterten Mutter, das nicht einmal seinen Vater gekannt hatte. Aber
sie war nicht feige. Notfalls würde sie sich mit den blanken Fäusten gegen die Drakken wehren. Sie war die Shaba von Akrania,
und sie hatte nicht einmal das Recht aufzugeben! Sie musste
kämpfen!
Gleich würde die Tür auffliegen. Als sie das Gepolter von Stiefeln hörte, schrie sie vor Entsetzen auf.
Was sie danach tat, war nichts als irgendeine Handlung ohne
Sinn und Ziel, und später konnte sie gar nicht glauben, dass sie
das gerettet hatte. Es war eine ebenso verzweifelte und sinnlos
erscheinende Tat wie das, was sie im Hafen getan hatte. Sie
kroch wimmernd vor Angst über die Felskante, fasste nach dem
dünnen Baumstamm, der ein kleines Stück unterhalb aus der
Wand ragte, und ließ sich in die Tiefe rutschen. Augenblicke später, als die Tür aufflog und vier schwer bewaffnete Drakken herausstürmten, hing sie, sich mit beiden Händen an dem dürren
Stamm haltend, eine Elle unterhalb der Drakken an der Felswand.
Und wenn die Echsenwesen nicht vollkommen blind waren, mussten sie Alina sofort sehen. Aber die Drakken sahen sie nicht. Alina
hing reglos an dem Stamm, starrte voller Entsetzen hinauf und
wartete nur darauf, dass einer der vier seine Waffe hob und auf
sie schoss. Die Drakken suchten die gesamte Felseinbuchtung ab,
rüttelten an der verschlossenen Tür und zwei von ihnen blickten
sogar in ihre Richtung. Aber sie sahen sie nicht.
Alina glaubte, ihren Sinnen nicht trauen zu können. Die beiden
Drakken starrten direkt zu ihr, wandten sich dann aber wieder ab
und durchsuchten noch einmal jeden Winkel des Felsabsatzes.
Kurz berieten sie sich, nahmen Abstand zu der verschlossenen
Tür, dann hob einer seine Waffe. Mit einem röhrenden Wumm!
schoss ein orangeroter, sich aufblähender Feuerball aus ihrer
Spitze und schlug krachend in die Holztür ein. Brennende Trümmer und Splitter stoben auf, einige davon trafen Alina, zum Glück
nicht gefährlich.
Sie konnte jede Einzelheit dessen, was die Drakken taten, erkennen; sie befand sich praktisch bei ihnen. Während die Echsenwesen warteten, bis sich die Feuersbrunst gelegt hatte, ging
ihr durch den Kopf, dass es manche Tiere gab, die einen Feind
oder ein Opfer nicht sehen konnten, solange es sich nicht bewegte. Konnte das auf die Drakken zutreffen?
Einer der Drakken stieß einen heiseren Laut aus, dann stürmte
er voran, durch die noch brennende Tür, in der ein riesiges Loch
klaffte. Augenblicke später waren die vier fort. Alina hing mit pochendem Herzen an dem Bäumchen und verstand die Welt nicht
mehr.
Der Stamm war zum Glück nicht glitschig, aber sie hing schon
eine ganze Weile daran und ihre Arme begannen zu schmerzen.
Sie würde sich nicht ewig halten können. Mit den Füßen tastete
sie nach Halt, fand zum Glück auch welchen. Wo war nur Matz?
Hatten sie ihn am Ende erwischt? Sie spannte die Armmuskeln
an.
Ihr Gesicht verzerrte sich vor Anstrengung; das hübsche Gesicht, von dem manche behaupteten, es wäre das schönste in
ganz Akrania – nun mit tränengeröteten Augen, von Schmutz
verschmiert, mit zerschlagenem Kinn und blutbefleckt. So sehr
sie sich auch anstrengte, sie schaffte es nicht hinauf. Sie strampelte mit den Beinen, suchte neuen Halt, aber sie schaffte nicht
einmal die halbe Höhe und ließ sich schließlich wieder herabsinken.
Nicht einmal einen Klimmzug!, fluchte sie in sich hinein. Wieder
schoss ihr Leandra durch den Kopf, ihre Freundin, die sie so sehr
bewunderte, und sie schämte sich dafür, dass sie so verweichlicht
war und sich hier nicht einmal an diesem Bäumchen hochziehen
konnte. Sie probierte es noch einmal und anschließend wieder,
aber vergebens. Wut brauste in ihr auf, aber dann mahnte sie
sich, dass sie das auch nicht weiterbringen würde. Schließlich war
sie vorher stundenlang Leitern und Treppen hochgestiegen, war
müde und hing nun schon mehrere Minuten an diesem Bäumchen. Nein, es würde ihr nichts bringen, wenn sie jetzt vor Zorn
zu kreischen und zu zetern begann. Blieb nur noch der Weg nach
unten. Der kalte Nieselregen sprühte ihr auf Kopf, Hände und
Schultern; sie blickte hinab und fragte sich, ob es nicht ohnehin
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