Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
ziemliches Aufsehen erregen. Denn so etwas hatte es ganz gewiss in Savalgor noch nie
gegeben: die Landung eines leibhaftigen Drachen mitten in den
Gassen der Stadt.
Die Brände in Savalgor hatten nachgelassen, doch noch immer
waren viele Brandherde sichtbar. Nun boten sie ihnen traurige
Orientierungspunkte. Während Meanak tiefer ging, stellte Leandra
erleichtert fest, dass der Nieselregen aufgehört hatte. Auch die
Luft war nicht mehr so schwanger vom Qualm wie noch Stunden
zuvor. Hast du etwas über Drakkenschiffe gehört, Meanak?
Im Augenblick nicht, antwortete der junge Drache. Weit westlich von hier, über dem Flussland, wurden einige Schiffe gesichtet. Aber hier in der Nähe dieser Stadt ist keines.
»Wir haben Glück«, meinte Victor zuversichtlich, der hinter
Leandra saß und sie fest mit beiden Armen umschlungen hielt.
»Noch.« Leandra seufzte sorgenvoll. Sie suchte in der Tiefe nach
Anhaltspunkten für den Ort, den sie ansteuern wollten, und wurde schließlich fündig. Siehst du die beiden kleinen Brände dort
links unten, Meanak? Unterhalb des Monolithen, in der Nähe des
Hafens?
Ist dort dieses Haus, zu dem ihr wollt? Ja. Eine breite Gasse
verläuft knapp vor dem Monolithen in Richtung Süden. Am nördlichen Ende steht ein alter, verlassener Turm der Stadtwache. Dort
in der Nähe müsste ungefähr der Rote Ochs sein.
Über das Trivocum bekam sie mit, wie Meanak seinem Artgenossen Lanianis mitteilte, wohin es ging. Dann drehte er nach
rechts ab, glitt in die Tiefe und schwenkte in eine weite Linkskurve ein, um sich dem alten Turm von Norden her zu nähern. Kurze
Zeit später glitten sie schon über die Dächer dahin, fanden ohne
Schwierigkeiten die entsprechende Gasse, und Meanak stellte die
Schwingen auf, um langsamer zu werden. Die Mühelosigkeit, mit
welcher der Drache sein Ziel fand, war beinahe bestürzend. Wie
lange hätte man zu Fuß oder zu Pferd für einen solchen Weg benötigt?
Das große Gebäude des ehemaligen Hurenhauses, das seit der
Schlacht von Savalgor Jackos Leuten gehörte, war gut auszumachen. Der Drache wurde immer langsamer, bis er zuletzt, kurz
vor dem Roten Ochsen, in Höhe der Dachgiebel fast in der Luft
stand. Als Landeplatz hatte er sich eine Kreuzung ausgesucht, die
ein kleines Stück nördlich des Gebäudes lag. Mit sparsamen
Schwingenschlägen sank er herab und seine mächtigen Klauen
setzten mit vernehmbarem Klacken auf dem harten Pflaster der
Straße auf. Gleich danach sprang er ein Stück nach vorn, um Lanianis Platz zu machen. Leandra und die anderen rutschten vom
Rücken der Drachen und waren, nach langer und gefährlicher
Reise, endlich wieder zurück in Savalgor.
Trotz der Flugkünste der Tiere waren bei der Landung einige
Fensterscheiben und Dachziegel zu Bruch gegangen. Ein einsamer
nächtlicher Passant, der die Gasse heraufkam, suchte entsetzt
das Weite. Die kleine Kreuzung war von den mächtigen, muskulösen Leibern der beiden Drachen beinahe vollständig erfüllt. Fensterläden öffneten sich und Lichter flammten in den Häusern auf,
während Ausrufe der Überraschung hörbar wurden. Leandra verspürte einen gewissen Stolz, über so mächtige Freunde zu verfügen. Obwohl es schon ein gutes Jahr her war, dass die Menschen
wieder erste Kontakte zu den Drachen aufgenommen hatten,
ahnte bis heute so gut wie niemand etwas davon, dass diese uralte, zerbrochene Freundschaft zwischen den beiden Rassen langsam wieder aufzuleben begann. Die Menschen hielten die Drachen für eine unintelligente Rasse einfacher Tiere, nur wenige
wussten es besser.
Leandra wandte sich um und sah nach Lanianis, Quendras und
dem Hochmeister. Endlich hatte sie einmal keine Kopfschmerzen
mehr. »Welches von den Gebäuden ist der Rote Ochs?«, wollte
Victor wissen.
Leandra deutete auf das große Haus, das sich schräg vor ihnen
in den dunklen Nachhimmel erhob. Es war hoch und schmal gebaut und schmiegte sich in die Reihe all der anderen, seltsam
turmartigen Häuser von Savalgor. Die gesamte Gasse hätte man
als Schlucht bezeichnen können; die Häuser ragten weit auf, viele
von ihnen fünf oder sechs Stockwerke hoch. In dem engen Savalgor waren fast alle Häuser auf diese Weise gebaut, und dort oben
in der Höhe, wo sie sich mit Verstrebungen und Balkenwerk gegenseitig stützten und wo es zahllose Treppen, Brückchen, hängende Wege und Stege gab, existierte eine ganz eigene Welt.
Savalgor war berühmt dafür.
»Dort waren wir damals eingesperrt«, sagte
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