Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
Zorn der Leute war beinahe mit Händen zu greifen. Leandra blickte in die Runde und studierte die Gesichter, die, wie früher schon,
wieder einmal hoffnungsvoll in das ihre blickten. Sie kannte diese
Männer, wusste, dass kein einziger Feigling unter ihnen war, keiner, der es nicht wagen würde, sich gegen die Bruderschaft und
den Rat zu erheben. Aber es war die Wahrheit: Den Palast anzugreifen war selbstmörderisch. Er war in den Fels des großen Savalgorer Stützpfeilers hineingehauen und galt als uneinnehmbar.
Eine Hand voll Soldaten war leicht in der Lage, das große Haupttor gegen eine riesige Streitmacht zu verteidigen, und nun, da es
angeblich auch noch Magier im Palast gab, war es ein hoffnungsloses Unterfangen, gegen diese Festung anrennen zu wollen.
Aber etwas musste geschehen, das stand außer Frage. In den
Gesichtern, die sie anstarrten, konnte sie die Hoffung lesen, dass
sie dieses Wunder in Gang bringen würde. Sie war schon drauf
und dran, etwas zu sagen, den Leuten neuen Mut zu machen,
doch dann wurde ihr plötzlich etwas klar. Diese Menschen wussten noch immer nichts von den Drakken!
Sie blickte in die Gesichter und sah ihre Befürchtung bestätigt.
Niemand hier ahnte etwas von der Gefahr durch die fremden Echsenwesen und von dem Pakt, den sie vor zweitausend Jahren mit
der Bruderschaft geschlossen hatten! Sie selbst hatte erst vor
wenig mehr als einer Woche davon erfahren.
Hilfe suchend sah sie zu Hochmeister Jockum. Er stand auf,
kam zu ihr, und flüsternd erzählte sie ihm, was ihr soeben klar
geworden war. Jockum wurde ebenso blass wie sie. Im Augenblick schienen sich die Schwierigkeiten bis zum Felsenhimmel
auftürmen zu wollen. Aber sie konnten diese ganze Last nicht
allein tragen.
Leandra hob die Hände. »Es… es gibt wichtige Neuigkeiten«,
sagte sie. Noch einmal blickte sie zu Hochmeister Jockum, aber
der schnaufte und nickte nur leicht. Leandra holte Luft und ließ
die Hände wieder sinken. »Es tut mir Leid, dass ich die schlechten
Nachrichten noch schlimmer machen muss. Aber das, was sich im
Moment im Palast abspielt, ist längst nicht unser Hauptproblem.
Es gibt noch etwas viel, viel Schlimmeres!«
Die Leute verstummten.
Die eben noch erkennbare Zuversicht war aus den meisten Gesichtern gewichen, und an den vielen Mienen, die auf ihre Nachricht hin starr geworden waren, konnte sie ablesen, dass sich zumindest Gerüchte herumgesprochen hatten.
»Die Fremden?«, fragte Caan halblaut. »Meinst du die Gerüchte
über diese fremden Wesen?«
Sie starrte Caan an, wusste nicht, wie sie beginnen sollte.
Schließlich nickte sie nur.
Nun stand auch Jacko wieder auf. »Das ist nicht dein Ernst!«,
beklagte er sich. »Die Leute erzählen sich wirres Zeug über ein
Volk von Fremden, die über uns herfallen wollen!« Er hob die Arme und stieß ein spöttisches Lachen aus. »Wo sollen die denn
plötzlich herkommen – so viele, dass sie Akrania überfallen könnten? Das ist doch blanker Unfug!«
»Sie kommen aus einer anderen Welt und haben einen Pakt mit
der Bruderschaft geschlossen!«, rief jemand lautstark.
Leandra stöhnte innerlich auf. Es war offenbar eine Menge, was
sich da herumgesprochen hatte. Jacko fuhr herum und fasste den
Störenfried scharf ins Auge. »Halt die Klappe! Mir reicht es langsam mit diesem Blödsinn! Haben wir nicht schon genug Ärger?«
Plötzlich sagte niemand mehr etwas. Leandra stand bewegungslos da und starrte nur die Leute an, während die Leute zu ihr zurückstarrten. Es schien, als wäre ihr Schweigen geradezu eine
Bestätigung für die Ungeheuerlichkeit, die dieser Mann soeben in
den Schankraum des Roten Ochsen hinausgeschrien hatte.
Hochmeister Jockum trat vor sie und sagte: »Bitte hört mir zu.
Ich werde euch jetzt von etwas berichten, das sich in euren Ohren wie ein dummes Märchen anhören wird. Manche von euch
haben schon Gerüchte vernommen, andere nicht. Aber vergesst
jetzt erst einmal alles. Was ich euch erzählen werde, entspricht
der Wahrheit, und wir können uns viel Zeit sparen, wenn ihr es
einfach so hinnehmt, wie ich es euch berichte. Ich war nämlich
dabei.« Leandra atmete auf. Dass ihr der Primas diese Sache abnahm, erleichterte sie über die Maßen. »Es gibt genügend Zeugen, die jedes Wort bestätigen können«, sagte der Hochmeister.
»Dazu zähle ich selbst, unser Freund Victor hier und… nicht zuletzt Magister Quendras.« Er nickte dem großen Mann zu, der
zwischen den Leuten am Tisch saß. »Quendras ist ein ehemaliges
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