Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
infrage. Auf
keinen Fall!«
»Aber… was soll ich dagegen tun?«, fragte sie forschend. »Oder
du?«
»Weiß ich noch nicht«, antwortete er leise, tief nachdenklich
und mit verengten Augenschlitzen vor sich ins Leere starrend.
»Aber wir haben fast zwölf Stunden Zeit. Irgendetwas muss uns
einfallen. Etwas, womit wir dein Halsband loswerden können.«
Alina staunte nicht schlecht, als sie das hörte.
Es klang, als hielte er es für möglich. Sie sah zu ihm auf. Ein
kleiner Hoffnungsfunke keimte in ihr auf, als sie sich sagte, dass
sie trotz aller möglichen Gefahren im Augenblick nichts nötiger
brauchte als einen Freund.
Jemanden, der ihr half, ihre Flucht in die Tat umzusetzen, so
unmöglich sie auch sein mochte. Sie wandte kurz den Kopf, als
draußen vor dem Fenster ein mächtiger Stützpfeiler vorbeizog,
und das erinnerte sie wieder daran, dass dieser Flug nicht ewig
dauern würde. Sie durften keine Zeit verlieren, genau genommen
nicht einmal Minuten.
Sie musste alles auf eine Karte setzen, und zwar gleich.
»Cleas, ich… muss fliehen«, flüsterte sie.
»Sofort. Unmittelbar nach meiner Ankunft in deinem Dorf. Es
geht nicht nur darum, dass ich davonkomme. Ich muss jemanden
finden.«
»Gleich?« Er blickte sie stirnrunzelnd an. »Erst müssen wir dein
Halsband loswerden! Sonst werden sie dich wieder eingefangen
haben, ehe du auch nur dreißig Meilen hinter dich gebracht hast!«
Sie schüttelte den Kopf und beugte sie ganz nahe an sein Ohr.
»Verzieh jetzt keine Miene, aber mein Halsband ist falsch. Ich
kann es ablegen.«
Er stieß einen leisen, überraschten Laut aus, aber niemand bekam es mit. Das Gemurmel rings um sie überdeckte ihr Flüstern.
»Die Frage ist«, fuhr sie leise fort, »kannst du mich aus deinem
Dorf schmuggeln, ohne dass die Drakken es mitbekommen?«
27
Hals über Kopf
Sie hatten Alinas Halsband an ein Stück Treibholz gebunden und
nun trieb es die Rote Ishmar hinab in Richtung Tronburg. Cleas
hatte es mit aller Kraft hinaus in Richtung der Flussmitte geworfen. Er meinte, dass es, wenn sie ein bisschen Glück hatten,
übermorgen vielleicht tatsächlich die alte Küstenstadt erreichen
würde, unten an der Straße von Veldoor.
Alina hingegen befürchtete, dass es die Drakken heute Abend
schon, spätestens aber morgen früh aus der Ishmar fischen würden. Wenn ihre nächste Arbeitsschicht begann, würde man ihr
Fehlen bemerken. Bis dahin musste sie unbedingt einen möglichst
großen Teil ihres Weges flussaufwärts zurückgelegt haben. Leider
musste Alina genau in die Gegenrichtung des treibenden Halsbandes fliehen, und dort würden die Drakken sicher als Erstes
nach ihr suchen.
»Glaubst du nicht, sie hielten mich für schlauer?«, schnaufte
sie, darum bemüht, mit Cleas Schritt zu halten. Sie marschierten
in forschem Tempo am hohen Ufer der Roten Ishmar entlang
nach Norden, direkt am Waldrand entlang. »Ich meine, wenn ich
nicht wirklich nach Norden musste, würde ich wahrscheinlich
meinem eigenen Halsband hinterherlaufen! Dort würden sie mich
doch nie vermuten.«
Cleas zuckte die Achseln. »Wer weiß schon, was die Drakken
vermuten? Und für wie intelligent sie uns halten? Du kannst nur
eins tun – vorsichtig sein. So vorsichtig, wie du nur irgend
kannst.« Alina schwieg und schonte ihren Atem. Obwohl sie in
den letzten beiden Wochen wahrscheinlich mehr Bewegungs- und
Muskelarbeit geleistet hatte als in den letzten zwei Jahren zusammengenommen, war sie noch nicht so kräftig, dass sie mit
dem großen, schlanken Mann mühelos Schritt halten konnte,
auch wenn er um die Fünfzig war. Von Benni ganz zu schweigen –
der lief weit voraus. Seit zwei Stunden waren sie unterwegs.
Cleas hatte nach ihrer Landung in Saligaan darauf geachtet, sie
sofort von den anderen wegzubringen, sodass sich überhaupt
nicht erst der Eindruck vertiefen konnte, sie würden den Tag miteinander verbringen.
Heute Abend nämlich, so hatten sie vereinbart, würde er melden, dass er sie vermisste – um sich selbst zu schützen.
Er hatte sie in einer nahen Scheune versteckt, war in sein Haus
geeilt, um dort alles zusammenzupacken, was er für sie erübrigen
konnte, und hatte sie dann wieder abgeholt. Das Glück und der
Zufall wollten es, dass er tatsächlich einen Weg wusste, unbemerkt aus dem Dorf zu gelangen. Er war in Saligaan aufgewachsen und kannte dort jeden Stein und jeden Strauch. Das Dorf lag
am Fuß eines Pfeilers, wie so viele Orte in der Höhlenwelt, und er
kannte dort eine
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