Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
Geröllhalde mit riesigen Felsbrocken, die bis fast
ans Dorf heranreichten. Sie hatten sich hinter den Häusern versteckt, bis die Drakkenpatrouille vorüber war, und sich dann auf
einem Weg zwischen den Felsbrocken hindurch davongeschlichen,
über den er schon als Kind ausgebüchst war, wenn er sich vor der
Hausarbeit hatte drücken wollen. Eine halbe Stunde später waren
sie am Ufer der Ishmar angekommen und marschierten seitdem
nordwärts. Inzwischen mussten sie wohl schon an die sieben Meilen hinter sich gebracht haben.
Alina wusste, dass Cleas ein großes Risiko einging. Er trug ein
Drakkenhalsband, und würde er heute Abend fehlen, würde man
nicht nur ihn suchen – und zweifellos auch sehr schnell finden –,
sondern auch sie. Deswegen musste er rechtzeitig zurück sein.
Am liebsten wäre er ab jetzt bei ihr geblieben, hatte er gesagt,
aber das war schlichtweg unmöglich.
Cleas wollte sie bis zum Nachmittag an einen bestimmten Ort
bringen. Danach hatte er vor, sich mithilfe irgendeines schwimmfähigen Objektes, wie vielleicht einem Stück Treibholz oder einem
großen Ast, die Ishmar flussabwärts treiben zu lassen, notfalls
unter Zuhilfenahme von Magie, um schnell genug zu sein. Er
musste es bis heute Abend zurück geschafft haben.
Cleas ließ sich ein paar Schritt zurückfallen, legte ihr den Arm
über die Schulter und zog sie mit sich. »Wie wäre es«, fragte er,
»wenn ich die Vermutung äußern würde, du hättest dich umgebracht?«
Sie blickte zu ihm auf. »Umgebracht?«
»Ja. Ein Sprung in den Fluss. Immerhin hast du heute erfahren,
dass du in Savalgor in einem Hurenhaus landen wirst. Dafür gibt
es sogar einen guten Zeugen: Renash. Ich könnte sagen, du wärest schon auf dem Rückflug vollkommen niedergeschlagen und
verzweifelt gewesen. Angenommen, du hättest wirklich den Tod
in der Ishmar gesucht, würde das auch erklären, dass dein Halsband an einem Stück Holz im Fluss treibt.« Er zuckte die Schultern. »Wenigstens halbwegs.«
Alina lachte auf. »Das ist eine fabelhafte Idee, Cleas! Denkst
du, sie werden dir glauben?« Cleas sah sie kurz an, sein Blick
blieb ernst. »Ich weiß es nicht. Ich hoffe nur, ich bin noch früh
genug zurück, um diese Geschichte glaubhaft verkaufen zu können. Es ist noch weit, weißt du?« Trotz der Gefahren fühlte sich
Alina zuversichtlich. Sie hatte einen Freund gewonnen und es war
ihnen gelungen, ungesehen das Dorf zu verlassen. Cleas’ Arm,
der locker über ihrer Schulter lag und sie sanft mitzog, flößte ihr
Mut ein. Sie dachte an Leandra und ihren Meister Munuel – so
musste sie sich auch gefühlt haben, wenn der alte Herr sie unter
ihre Fittiche genommen und ihr den Mut und die Kraft gegeben
hatte, die schwierigsten Hindernisse zu überwinden.
Sie marschierten hoch über dem Fluss dahin. Gleich rechts von
ihnen fiel ein steiles Felsufer über dreißig Ellen fast senkrecht in
die Tiefe. Dort unten gab es nur einen schmalen Uferstreifen aus
Geröll, Treibholz und hin und wieder etwas Flusssand.
Die Rote Ishmar war der »wildere« der beiden Flussarme; die
Blaue Ishmar, die weiter im Osten floss, war nur ein lauer, seichter Wasserlauf, den man an vielen Stellen zu Fuß durchqueren
konnte. Bei der Roten Ishmar hingegen ging das nicht. Obwohl
man sie nicht gerade als reißend bezeichnen konnte, war sie nicht
ungefährlich. Sie war durchgängig tiefer, floss schneller und dort,
wo sie herkam, war das Gelände zerklüfteter, sodass es Stromschnellen und kleine Wasserfälle gab. Eine leise Sorge stieg in
Alina auf. Sie hoffte, dass Cleas nichts passieren würde, wenn er
schwimmend heute Nachmittag nach Saligaan zurückkehren wollte.
Das Wetter war schön und der Weg entlang der Roten Ishmar
war vergleichsweise gut begehbar. Der Fluss selbst hatte dafür
gesorgt, dass es nicht allzu sehr hinauf und wieder hinab ging.
Hier begannen schon die ersten Vorberge des Ramakorums. An
dieser Stelle waren es zwar kaum mehr als felsige Hügel, aber es
würde noch ärger werden; schließlich hatte sie vor, in das wildeste und höchste Gebirge des Kontinents vorzudringen. Alina hatte
keine Ahnung, wie lange sie von hier aus noch bis zu ihrem Ziel
brauchen würde – es waren sicher etliche Tage. Aber nur dann,
wenn sie einen guten, gangbaren Weg fand.
Cleas schien ihre Gedanken zu erraten. »Und du bist sicher,
dass du deine Freundin dort finden kannst?«
Alina hatte ihm Royas Namen nicht verraten, und auch nicht,
wo genau sie nach ihr suchen
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