Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
es! Der Beweis
ist hier!« Er fuhr herum und deutete auf das Wesen, das dort an
der Holztafel hing.
Marko lachte abermals leise auf. Ein verteufelt geschickter Zug,
den toten Drakken als Beweis für diese Behauptung hinzustellen.
Ein toter Drakken bewies überhaupt nichts, außer dass er tot war,
aber in diesem Fall zählte nur das Spektakel, das Ötzli veranstaltete. Marko war gespannt, ob sich Victor da herauszureden verstand. Der Altmeister hob wieder die Hände, um für Ruhe zu sorgen. »Ihr alle habt von den Gerüchten gehört! Den Fremden, die
irgendwo lauern sollen, um uns zu überfallen. Aber keiner hat je
einen davon gesehen, nicht wahr?« Er stemmte die Fäuste in die
Hüften und blickte in die Runde. »Nun, hier ist einer! Ich habe ihn
selbst getötet! Um einen Beweis für die ungeheuerliche Verschwörung erbringen zu können, die Leandra und ihre Bande gegen uns, das Land und die Welt angezettelt haben. Ich…«
»Was redest du da für einen Unsinn, Altmeister Ötzli!«, rief nun
eine andere Stimme. Marko wandte sich um und suchte den Rufer
mit Blicken – es war ein alter Mann in gestickter Robe, er kannte
ihn nicht. Dem Aussehen nach irgendein Würdenträger… er war
zusammen mit Alina und ihrem Gefolge in den Wappensaal gekommen, kurz nachdem Marko seinen Posten bezogen hatte.
»Und Hochmeister Jockum gehört ebenfalls dazu!«, schrie Ötzli
mit sich überschlagender Stimme. »Ebenso Meister Fujima und
der gesamte Cambrische Orden. Ja, es ist wahr! Die Cambrier
waren es, die vor knapp einem Jahr die gesamte Familie des Shabibs ermorden ließen, um mithilfe dieser Hure da und ihrem Bastard von einem Kind, gezeugt von dem Monstrum Chast, auf den
Thron zu gelangen!« Marko schüttelte den Kopf, während er Ötzli
wieder anvisierte. »Eine Hure?«, wiederholte er leise. »Nun, jetzt
übertreibst du aber…«
»Die Bruderschaft«, rief der alte Herr wütend zurück, »war es,
welche die Shabibsfamilie ermorden ließ, das ist längst bekannt,
Ötzli! Und Chast war ihr Hoher Meister! Was, bei allen Dämonen,
hast du mit ihnen zu schaffen, dass du jetzt Partei für sie
nimmst?«
»Verleumdung!«, schrie Ötzli wütend. »Die Bruderschaft! Das
ist noch so eine Erfindung von euch Cambriern! Eine Bruderschaft
hat es nie gegeben! Alles, was ihr Pack hier aussprecht, ist eine
einzige Lüge! Und du, Jockum, Primas des Cambrischen Ordens,
bist der Urheber! Du und Leandra, die ihr eine Liebschaft miteinander hattet! Mein guter, alter Freund Munuel kam dahinter und
wurde von euch getötet…!« Ein Aufstöhnen ging durch den Saal.
»Na, na…«, murmelte Marko, »jetzt mischst du aber langsam
alles durcheinander, was?« Er zog die Sehne probehalber noch
ein Stück an. Doch dann entspannte er den Bogen wieder und ließ
ihn schließlich ganz sinken. Konnte er da so sicher sein?
War dieser Blinde, den er da getroffen und der ihn nun hier auf
der Balustrade platziert hatte, tatsächlich dieser… Munuel? Vielleicht log er ebenfalls! Vielleicht war hier in der Tat eine Verschwörung im Gange, deren Tragweite er gar nicht ermessen
konnte! Und am Ende ließ er sich, ohne nachzudenken, für niederste Zwecke einspannen und wurde gar zum Meuchelmörder?
Marko schüttelte über die eigene Blauäugigkeit den Kopf.
Ja, da war dieser tote Drakken, über dessen Herkunft Ötzli
nachweislich gelogen hatte, und es war in der Tat schwer vorstellbar, dass dieses wunderschöne Mädchen dort unten eine Hure
und Verschwörerin sein sollte. Aber… Marko schnaufte. Eine äußerst undurchsichtige Sache! Er wusste eigentlich so gut wie gar
nichts über all die Verwicklungen und war dennoch drauf und
dran, auf jemanden zu schießen! Er hob den Bogen nicht wieder
und beschloss, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Womöglich würde
er auf jemand ganz anderen schießen müssen, als dieser MunuelJerik-oder-sonstwer es von ihm verlangte!
*
Alina war verwirrt und verängstigt. Sie sah Schlimmes nahen,
und in ihr wuchs der Wunsch, Marie bei sich zu haben; sie wusste
nicht, ob ihr Kind wirklich in Sicherheit war. Das Geschrei, das
dieser Ötzli angestimmt hatte, versetzte die Leute in Unruhe, und
der tote Drakken an der Holztafel jagte ihnen zudem Angst ein.
Ötzli hob zu weiteren Beschuldigungen an, die sämtlich erlogen
waren. Er behauptete, Leandra und Meister Fujima hätten bereits
geahnt, dass er Bescheid wusste, und waren beizeiten geflohen,
und sagte weiterhin, er hätte vorgestern, als er im Sitzungssaal
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