Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
hat. Außerdem zielt auch der Bogen eines Meisterschützen auf dich! Wenn ich diese Hand herunternehme, werden dich mindestens ein Pfeil und ein Bolzen durchbohren. Denke
also nicht einmal daran, eine Magie zu wirken! Ich würde es sofort spüren!«
Ötzli rang noch immer um seine Fassung.
Munuel drehte sich der Menge zu. Alina erschrak. Einen Augenblick lang dachte sie, er habe nun Ötzli nicht mehr im Blickfeld
und der Altmeister könnte ihn überrumpeln. Doch dann verstand
sie, dass Munuel keine Sichtlinie zu Ötzli benötigte. Er musste nur
das Trivocum beobachten. Ein Meister wie er konnte das wahrscheinlich im Schlaf. Als er nur mehr drei oder vier Schritte von
ihr entfernt war, spürte sie plötzlich eine gewaltige Woge der Erleichterung und das Bedürfnis, zu ihm zu treten und ihn zu
umarmen.
»Hört mich an, ihr Leute!«, rief Munuel. »Einige von euch kennen mich. Allen anderen sei gesagt, dass mein Name Munuel ist,
Altmeister, Mitglied des Cambrischen Ordens. Aber das ist jetzt
nicht wichtig. Und eigentlich ist sogar auch dieser kleinliche Hass
des Altmeisters Ötzli im Augenblick vollkommen unwichtig! Denn
es geht um etwas viel Bedeutsameres!«
»Lüge!«, schrie Ötzli dazwischen. »Ein Possenspiel! Ein Verrat
und eine Verleumdung, die ihresgleichen sucht! Dieser Mann dort
ist nicht Munuel! Ich kenne Munuel – er war ein alter Freund von
mir und starb vor über einem Jahr in Unifar. Das weiß jedes
Kind!«
Munuel fuhr herum und trat wieder auf Ötzli zu. »Ach ja? Warst
du denn dabei? Mein alter Freund?«
»Ich bin nicht dein alter Freund, du dahergelaufener Narr! Was
hast du vor? Was willst du diesem Volk noch antun?«
»Ich will es vor einem tragischen Irrtum bewahren. Die Bruderschaft von Yoor, ihr Gründer Sardin und ihr Anführer Chast haben
Verrat an uns begangen, und es gibt heute noch immer Leute, die
sich an der bösen Saat dieses Verrats bereichern wollen – so wie
du! Aber das darf nicht geschehen! Unser Volk muss geeint werden, damit es einer neuen, schrecklichen Gefahr widerstehen
kann, von der es noch nicht einmal etwas weiß! Und du, Altmeister Ötzli, und dieses korrupte Pack da im Rat«, damit deutete auf
die Gruppe der Hierokraten, die nahebei standen, »ihr seid die
Schuldigen daran, wenn wir diesen Wesen ins offene Messer laufen!« In Ötzlis Gesicht spielte sich Unerfindliches ab. Wären nicht
Munuel und seine Schützen da gewesen, hätte Alina vielleicht
ihrem dringenden Wunsch nachgegeben, von hier zu fliehen. In
dieser Halle würde ein magischer Kampf zu einer Katastrophe
führen.
Munuel wandte sich wieder der Menge zu. »Hört mich an, ihr
Bürger von Savalgon. Ein Jahr lang glaubte man, ich wäre in Unifar umgekommen, von herabstürzenden Trümmern erschlagen.
Aber das stimmt nicht – ich hatte großes Glück.«
»Ja, das sieht man«, rief von irgendwoher ein Spötter. »Von
den Toten auferstanden!«
Munuel schüttelte den Kopf. »Nein, nicht auferstanden. Ich
überlebte einfach nur. Ich wurde dort unten eingeschlossen und
irrte tagelang ziellos in der Finsternis umher. Mein Augenlicht war
zerstört.
Schließlich kam jemand und rettete mich.«
»Ein Engel? Ein Dämon?«, rief der gleiche Mann wieder.
»Weder – noch«, antwortete Munuel. »Es war Ulfa.
Ulfa, der legendäre Urdrache der Höhlenwelt.« Für Momente
herrschte Schweigen, dann fing ein Einzelner an zu lachen. Gleich
darauf stimmten andere mit ein und ein ungläubiges Raunen ging
durch die Menge. Die Spötter versuchten, die Menge zum Lachen
zu bringen, aber es gelang ihnen nicht recht; noch immer kippte
die Stimmung im Saal nicht.
»Ihr glaubt mir nicht?«, rief Munuel. »Dann werde ich es euch
beweisen.« Er hob den rechten Arm.
»Ulfa, komm zu mir!«, rief er laut.
Augenblicke später entstand ein unbeschreibliches Vibrieren in
der Luft. Ein kleines Etwas schoss über die Köpfe der Menschen
hinweg, drehte einen weiten Kreis über der Saalmitte und sank
dann auf Munuels ausgestreckten Arm herab.
Die Menge stöhnte auf, als sie das Wesen erkannte:
Es war ein Baumdrache. Ein legendäres Wesen, dessen tatsächliche Existenz bisher noch niemand hatte beweisen können. Alina
hatte von Leandra bereits Geschichten über Ulfa gehört, aber
jetzt, da sie ihn zum ersten Mal leibhaftig sah, jagten auch ihr
Schauer über den Rücken.
Etwas Unbenennbares hatte sich über den Saal gelegt, eine Aura, die jeder spüren konnte. Allein die Gegenwart eines solchen
Wesens hätte Beweis genug sein
Weitere Kostenlose Bücher