Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
kam eine erste Abzweigung, die
weiter nach rechts – also wahrscheinlich nach Osten – führte.
Hier war Alina zuvor schon gewesen, hatte diesen Gang aber gemieden. Sie gingen weiter geradeaus. Victor stöhnte bei jedem
Schritt leise auf. Seine Oberschenkelwunde machte ihm zu schaffen. »Soll ich vorgehen?«, flüsterte sie. »Ja, ist vielleicht besser.
Ich kann kaum laufen.« Sie schob sich mit Marie auf dem Arm an
ihm vorbei und ging vorsichtig, mit beiden Händen nach den
Wänden tastend, voran. Die Gänge waren vollständig ausgemauert, was erleichternd war; so liefen sie nicht ständig Gefahr,
sich an Felsvorsprüngen oder Ähnlichem zu stoßen. Alina verlegte
sich darauf, immer ein kleines Stück zu erkunden und ihn dann zu
holen. Nach einer Weile machte sie steile Treppenstufen aus, die
direkt vor ihr in die Tiefe führten, während gleichzeitig ein Gang
nach links abzweigte.
»Nach links!«, meinte Victor. »Dort muss es zu den anderen
Räumen gehen.«
»Wir hätten die linke Wand genau abtasten sollen«, sagte Alina.
»Vielleicht sind wir schon an einem Zugang vorbeigekommen?«
»Hab ich die ganze Zeit gemacht. Da war nichts.« Alina atmete
auf. Es war ihm anzumerken, dass er schon so manche Erfahrung
gesammelt hatte, was Kämpfe, Geheimtüren und lauernde Gefahren betraf. Er hatte sich Verhaltensweisen angewöhnt, die nur
einer lernte, der sich schon mit Teufeln und Dämonen herumgeschlagen hatte. Trotz seiner Verletzung war es ein Glück, Victor
bei sich zu haben. Unter anderem. Sie nahm sich vor, achtsamer
zu sein und von ihm zu lernen. Wenn sie nicht äußerst wachsam
waren und gewitzt vorgingen, würde ihre Flucht bald wieder zu
Ende sein.
*
Gib nicht auf!
Da war diese seltsame Stimme wieder. Leandra, die immer noch
taub aus dem Fenster des Drakkenschiffs starrte und dabei Cathryn umklammert hielt, fragte sich, welcher wohlmeinende Geist
ihr da ständig etwas eingeben wollte.
Mehr Überlebenswillen schöpfte sie jedoch aus Cathryn. Denn
sie konnte es einfach nicht zulassen, dass ihrer Schwester etwas
passierte. Aber was sollte sie schon unternehmen? Sie musste
damit rechnen, dass Rasnor sein Vorhaben in Savalgor mit derselben kaltblütigen Genauigkeit vorausgeplant hatte wie zuvor die
Entführung ihrer Schwester. Hoffentlich stimmte es wenigstens,
dass ihren Eltern nichts passiert war. Es war schlimm genug, was
ihre Mutter jetzt durchmachen musste, nachdem Cathryn verschwunden war. Das kleine Schiff war seit etwa einer Stunde unterwegs und der Blick aus dem seitlichen Fenster sagte Leandra,
dass sie Savalgor nun bald erreichen würden.
Es dauerte nicht mehr lange, da rief Rasnor: »Sieh mal, da
vorn! Das ist wahrlich ein gewaltiger Anblick!«
Leandras Herz schlug dumpf, als sie sich so weit erhob, dass sie
aus dem Bugfenster des Schiffs blicken konnte. Was Rasnor gemeint hatte, wusste sie nicht; sie rechnete mit einer neuerlichen
Rauchsäule über der Stadt. Aber das war es nicht. Was sie sah,
waren Drakkenschiffe. Es waren Aberdutzende, vielleicht sogar
über hundert. Sie schwebten mit majestätischer Ruhe als dicht
gestaffelte Rotte über der Stadt, und man hätte ihren Anblick in
der Tat als atemberaubend bezeichnen können – wäre der Grund
ihrer Anwesenheit nicht so furchtbar gewesen. Savalgor war unwiderruflich in Feindeshand. Rasnor wandte sich um. »Hübsch,
nicht? Das sind meine Leute, verstehst du?« Er setzte sich wieder
zurecht und faltete zufrieden die Hände im Schoß. »Gewöhne dich
an den Gedanken. Wenn du dir noch irgendwas vom Leben erhoffst, dann halte dich an mich. Es gibt niemanden sonst, an den
du dich wenden könntest.«
Die Drakkenschiffe besaßen die unterschiedlichsten Formen und
Größen. Es gab einige lang gestreckte, flache Schiffe, die hundertfünfzig Schritt oder mehr messen mochten, klobige Würfel
mittlerer Größe und kleine, kugelförmige von kaum zwanzig Ellen
Durchmesser. Fast alle waren grau und schwarz, die meisten besaßen an der Außenseite irgendwelche Aufbauten oder Vorsprünge, die möglicherweise Waffen waren.
»Ha!«, machte Rasnor spöttisch. »Ursprünglich wollten sie erst
viel später angreifen! Dummköpfe! Ich hab ihnen gesagt, dass
das Zeitverschwendung ist! Als ob das hier nicht genügt hätte!«
Leandra drehte den Kopf langsam in seine Richtung. »Willst du
damit sagen…«, fragte sie schockiert, »dass du den Drakken zum
Angriff geraten hast? Auf deine eigene Welt, dein eigenes Volk?«
Er fuhr herum und blickte ihr
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