Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
sich.
»Was?«, wollte Rasnor wissen.
Leandra starrte ihn eine Weile an, wandte dann aber den Blick
von ihm ab und starrte seitlich zu Boden. Alina erkannte die
plötzliche Verbitterung in ihrem Gesicht. Mit einem Mal schien sie
den Tränen nahe zu sein.
»Was ist denn?«, bohrte Rasnor nach.
Leandra sagte nichts, winkte nur ab.
Rasnors Gesicht verzog sich missmutig. Er gab sich verärgert
und nörglerisch. »Ach – geht das jetzt wieder los? Dass ich ein
Verräter wäre? Und wegen Meister Fujima?«
Leandras Kopf wandte sich ihm plötzlich wieder zu, rasch wie
ein Habicht, und ihr Blick war von eisiger Kälte, das konnte selbst
Alina von ihrem Versteck aus sehen. »Du hast ihn getötet, du
Scheusal! Und die beiden Drachen!«
»Na und?«, rief Rasnor. »Ich hab’s dir doch schon erklärt!«
»Erklärt?«, fuhr sie ihn an. »Was gibt’s an einem Mord zu erklären?«
Rasnor erhob sich. »Mir reicht es! Mach doch, was du willst!«
Damit wandte er sich um und schickte sich an zu gehen.
Plötzlich stürzte Leandra auf ihn zu, wild geworden wie eine
Raubkatze. Alina erschrak, trat instinktiv einen Schritt zurück,
wischte dabei über irgendein metallenes Besteckteil, das an einer
Tischkante lag und nun klirrend zu Boden fiel. Von tödlichem
Schreck gepackt, starrte sie in die Richtung von Rasnor und
Leandra, aber zwischen den beiden war inzwischen ein lautstarkes Handgemenge entbrannt. Leandra bearbeitete den kleinen
Mann mit Fäusten, schrie wie wild und verfluchte ihn. Sie wandte
keine Magie an, sondern schlug nur mit aller Gewalt auf ihn ein.
Rasnor versuchte mit erhobenen Armen, ihre Schläge abzuwehren.
Das kleine Mädchen begann sofort zu weinen. Rasnor brüllte ein
paar Worte und Augenblicke später stürmten ein halbes Dutzend
Drakken in den Raum. Sie waren so unfassbar schnell, dass sie
Leandra bereits gepackt hatten, bevor Alina begriffen hatte, was
geschehen war. Ihr Herz pochte wild. »Warum hast du das getan?«, schrie Leandra unter Tränen, während sie von zwei Drakken festgehalten und von Rasnor weggezogen wurde. »Warum?«
Der verdatterte Rasnor rappelte sich auf, er war wegen Leandras
plötzlichem Ausbruch offenbar völlig verstört. Er stotterte irgendwas, woraufhin das weinende Mädchen zu Leandra rannte und
sich an ihrem Bein festklammerte. Die Drakken hielten Leandra
noch immer fest.
»Was hätte ich denn, tun sollen?«, brüllte er wütend.
»Was du hättest tun sollen?«, schrie sie. »Ihn leben lassen! Die
Drachen leben lassen! Du hattest mich längst in deiner Gewalt.
Niemand von ihnen hätte dir noch gefährlich werden können.« In
Alina breitete sich eine lähmende Kälte aus. Sie war sich nicht
sicher, ob sie es richtig verstanden hatte, aber es schien, als wäre
Meister Fujima tot.
Tränen stiegen ihr in die Augen. Meister Fujima hatte ihr das
Leben gerettet, hatte für zwei Tage ganz allein die Übermacht der
Bruderschaftsmagier zurückgehalten. Sie hatte ihn als einen außergewöhnlich liebenswerten, freundlichen und herzensguten
Menschen kennen gelernt. War er wirklich tot? Von Rasnor ermordet? Ein pechschwarzer Abgrund tat sich vor ihr auf, ein bodenloses Loch. Das lächelnde Gesicht ihres Freundes entstand vor
ihren Augen, ein Gesicht von solcher Gutartigkeit, dass sie sich
einfach nicht vorzustellen vermochte, wie viel Boshaftigkeit dazu
gehörte, einen solchen Menschen hinterrücks zu ermorden.
»Bringt sie weg!«, schrie Rasnor die Drakken an. »Und diese plärrende Göre auch. Sperrt sie irgendwo ein, bis sie sich wieder beruhigt haben! Und bewacht sie, verstanden?«
Wortlos gehorchten die Drakken Rasnors Befehl. Sie führten
Leandra hinaus, die kleine Cathryn folgte ihr.
Rasnor blieb noch eine Weile, wo er war, und erging sich dabei
in gemurmelten Selbstgesprächen. Mit einer wütenden Handbewegung fegte er ein Stück Brot von einem der Tische und schickte Leandra einen Fluch hinterher. Er blickte noch einmal in die
Runde und verließ dann fluchend die Küche. Als er fort war, blieb
Alina noch eine Weile reglos stehen. Die Küche war wieder so leer
wie zu dem Zeitpunkt, da sie auf der Suche nach Essbarem hier
herunter gekommen war. Nur dort, wo die beiden miteinander
geredet hatten, verstrahlte die Öllampe noch immer ihr Licht.
Alinas Herz pochte dumpf. Sie hatte sich viel von Leandra erhofft, obwohl auch sie über keine wirkliche Macht gegen die
Drakken verfügt hätte. Nun war Leandra gefangen – und Meister
Fujima war tot. Jetzt gab es allein
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