Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens
als hätte
er mit Rasnor zusammengearbeitet. Dabei habe ich ihm das Leben gerettet! Ihm und Roya!
»Los jetzt!«, verlangte Hellami. »Komm mit, oder willst du,
dass wir dich gleich hier in Stücke hauen?«
Quendras versteifte sich. Er sah, dass er auf verlorenem Posten
stand. Roya und Munuel waren in Feindeshand, alle Malangoorer
Bürger waren entführt worden, ein Dutzend Drachen waren tot.
Es gab einen Augenzeugen, der beobachtet hatte, wie er, Quendras, einem Flugschiff des Feindes entstiegen war, um Roya zu
holen. Schlimmer noch: Munuel, der ebenfalls ein Gefangener
Rasnors war, würde auch gegen ihn aussagen – wenn es je dazu
käme. Rasnor, der verfluchte Dreckskerl, hatte alles so hingedreht, dass er wie ein Verräter aussah.
Ja. Nun verstand er.
Ein Verrat aus Eifersucht, begangen von ihm, Quendras, von
dem jeder in Malangoor gewusst hatte, wie sehr er Roya liebte
und wie schmerzvoll es für ihn gewesen war, als Marko auftauchte. Zugegeben – er war tatsächlich eifersüchtig auf Marko gewesen, aber wer wollte ihm das verübeln? Roya war in seinem dunklen, grauen Bruderschaftsleben ein unvergleichlicher Lichtblick
gewesen – sie hatte ihn verzaubert, hatte ihn gelehrt, dass es
noch etwas anderes gab als die finsteren Ziele seiner Brüder.
Quendras hatte einst Victor davon gebeichtet – das war noch in
der Zeit gewesen, da keiner von ihnen Marko gekannt hatte.
Wenn Quendras ehrlich war, hatte er immer gewusst, dass er
kein Mann für dieses zierliche und verspielte junge Mädchen gewesen wäre, nein. Er war über zehn Jahre älter und hatte ein völlig anderes Naturell als sie. Marko aber, das musste er neidvoll
zugeben, war genau der Richtige für sie – ein Kindskopf, ebenso
temperamentvoll, dabei doch ein mutiger Kämpfer und voller Liebe für sie. Was es ihm, Quendras, dennoch nicht erleichtert hatte,
seine eigenen Gefühle für Roya zu vergessen. Aber niemals wäre
er auf die Idee gekommen, deswegen ganz Malangoor an Rasnors
Messer zu liefern.
Dieser miese, kleine Verräter musste von seinen Gefühlen für
Roya erfahren haben… Nein, er hatte es damals ja selbst mitbekommen! In Hammagor, als Quendras die Seiten gewechselt hatte, um Roya zu beschützen, war es schon allzu offensichtlich gewesen! Nun hatte Rasnor dieses Wissen gegen ihn benutzt, um
einen Keil zwischen Leandras Freunde zu treiben. Und mit der
Zerstörung Malangoors hatte er einen zusätzlichen, wichtigen
Erfolg zu verbuchen. Wenn das so weiterging, würde es ihm am
Ende noch gelingen, die Schwestern des Windes und ihre Freunde, die wichtigste, gegen ihn gerichtete Kraft, zu zerschlagen.
Quendras fasste einen Entschluss.
»Sag mir, was in diesem Brief an die Shaba stand«, verlangte
er von Hellami. »Eher komme ich nicht mit!«
»In dem Brief? Hast du ihn nicht selbst geschrieben – für deinen
Freund Rasnor?«
»Habe ich nicht!«, bellte er sie an. »Sag es mir!« Hellami schien
ein wenig verunsichert und sah sich kurz nach Hochmeister Jockum um.
»Rasnor will die Säuleninsel zurück«, erklärte Jockum aus dem
Hintergrund. »Falls wir das zu verhindern versuchen, will er seine
Geiseln töten. Und mit ihnen Munuel und Roya.«
Quendras holte tief Luft. Das also war der Grund! Rasnor musste Kontakt zu den Drakken haben – den Drakken außerhalb der
Höhlenwelt. Sie waren dabei, den alten Plan wieder aufzunehmen.
Mit pochendem Herzen musterte er Hellami, Jockum und deren
Gefährten und überlegte, ob er es schaffen konnte, ihnen zu entkommen. Wenn sie ihn ins Gefängnis warfen, hatten sie guten
Grund, ihn dort vermodern zu lassen, ganz egal, was er ihnen
erzählte. Der Untergang von Malangoor war eine furchtbare Katastrophe – und absolut unverzeihlich gegenüber dem, der diesen
Verrat begangen hatte. Nur: Wer war es gewesen?
Er musste herausfinden, wer der Schuldige war, und ihn festnageln, damit er selbst wieder freikam. Und er musste Roya helfen.
Sollte sie danach ruhig wieder in Markos Arme fliehen – es war
ihm gleich. Aber vorerst war es ihm vielleicht möglich, innerhalb
kurzer Zeit ihre Spur aufzufinden; er kannte noch viele der alten
Strukturen und Stützpunkte der Bruderschaft, und möglicherweise konnte er sich sogar die Hilfe von ein paar alten Freunden sichern, auch wenn er inzwischen in der Bruderschaft ein Geächteter war. Für diesen Plan aber musste er in Freiheit bleiben. Es war
ein gefährlicher Weg, aber er war bereit, ihn zu gehen. Seine
Aussichten auf Erfolg waren erheblich größer,
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