Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens
Einzelwelten, irgendwo in den Weiten der Milchstraße.
Nahe der Zwischenzone. Das ist eine Art Niemandsland, zwischen
den großen Reichen der Saari und des Pusmoh, das wohl von irgendeinem zufällig vorbeikommenden Schiff entdeckt wurde –
abseits von allen besiedelten Raumsektoren. Auf solchen Welten
leben meist nur eine Hand voll Farmer, und ein paarmal im Jahr
kommen Frachtschiffe vorbei, die Versorgungsgüter bringen und
landwirtschaftliche Produkte abholen. Die Drakken patrouillieren
nur turnusmäßig bei ihnen vorbei. Ich kam unangemeldet – mit
der Moose. Hatte ein paar Tausend Tonnen Kühlmittel zu einer
Bergbau-Gesellschaft gebracht und war in der Nähe. Ich dachte,
ich könnte auf Merital vielleicht irgendeinen Frachtauftrag abstauben.« Sie erreichten das Brückenschott, und Roscoe drückte auf
die Taste. Leise glitt die weiße Metalltür zur Seite. Leandra blickte
befangen zu ihm auf. Noch immer lag seine Hand locker auf ihrer
Schulter, und er zog sie mit sich.
»Sie hatten jedes Lebewesen enthauptet«, sagte Roscoe dumpf.
»Jeder Tote, den ich fand, war enthauptet, jede Kuh, jedes
Schwein, jedes Pferd.
Es war grauenvoll.«
Leandra schluckte. »Wirklich? Aber… warum sollten sie so etwas
tun?«
»Keine Ahnung. Ich habe nur Tote und niedergebrannte Gehöfte
gesehen. Bin dann gleich wieder abgehauen und hab den nächsten Stützpunkt der Drakken angesteuert. Es hat nicht ein einziger Mensch oder Ajhan auf dem ganzen Planeten überlebt.«
»Nicht mal einer?«, keuchte Leandra.
Er schüttelte den Kopf. »Keiner. Na ja, es war nur eine kleine
Agrarkolonie. Ein paar tausend Einwohner, und alle auf demselben Kontinent. Die Drakken haben es mir später erzählt.«
»Wirklich? Die erzählen einem so etwas?«
Sie erreichten eine Gangabzweigung, an der sie sich trennen
mussten, um in ihre jeweiligen Quartiere zu gelangen. Roscoe
hielt an und legte Leandra beide Hände auf die Schultern. »Ja.
Ich war noch einmal bei einem Verhör. Da erfuhr ich es. Aber
genug jetzt davon. Wir treffen uns in zehn Minuten an der Hauptschleuse, ja? Wie war noch mal dein Name?«
»Lizzi.«
»Richtig. Und dein Nachname?«
»Ashkabid, genau wie deiner.«
»Ach ja. Vater und Tochter. Daran muss ich mich erst gewöhnen.«
»Ich weiß, du hättest mich lieber als Geliebte«, grinste sie
frech. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen
Kuss auf die Wange. »Aber du weißt ja, ich bin nicht mehr zu haben.«
»Ja, ja«, seufzte er, »dieser ominöse Victor. Der Bursche ist ein
Glückspilz – hoffentlich siehst du ihn je wieder.«
»Das habe ich vor. Bis gleich.« Sie winkte kurz und machte
kehrt, um zu ihrer Kabine zu eilen. Sehnsüchtig blickte er ihr hinterher.
5
Fremde Welt
Als das gleißende Strahlen der Energieblase gänzlich verloschen
war, fand sich Azrani in einer dunklen, völlig fremden Umgebung
wieder. Eine orangerote Sonne, die knapp über einem zerklüfteten Horizont glühte, schickte träge verlöschende Lichtstrahlen zu
ihr. Der Himmel selbst war von schweren graubraunen Wolkenschlieren verhangen.
Azranis Herz tobte noch immer von der stürmischen Reise durch
unnennbare Sphären; in ihrem Kopf wirbelte ein Orkan, und sie
zitterte am ganzen Leib. Und nun diese völlig fremde Umgebung!
Keuchend starrte sie hinauf, wo kein Stützpfeiler, kein Sonnenfenster und kein Felsenhimmel zu sehen waren, nur finstere Wolkenstreifen, zwischen denen vereinzelt Sterne zu ihr herabfunkelten. Die matt bläulich schimmernde Sichel eines grotesk riesigen
Mondes stand so nah über ihrer Stirn, dass sie glaubte, er werde
im nächsten Moment herabfallen und sie erdrücken. Sie entdeckte
einen zweiten Mond weiter links und ebenso blau, aber kleiner,
und schließlich noch einen dritten Mond, rechts oberhalb der Sonne. Auch er war riesig, jedoch völlig schwarz. Es stand zu befürchten, dass er sich vor die Sonne schieben würde und diese
Welt ewiger Dunkelheit anheim fiele. Wo bin ich hier?
Während sie tief atmend versuchte, ihre Ruhe wieder zu gewinnen, huschte ihr Blick zwischen den Monden, der Sonne, dem
dunklen Horizont und den drohenden Wolkenfetzen hin und her.
Bald schlich sich Kälte in ihren Körper, und sie schlang fröstelnd
die Arme um den Leib. Da merkte sie, dass sie tatsächlich völlig
nackt war. Schon während ihrer Reise hatte sie das Gefühl gehabt, unbekleidet zu sein, und als sie an sich herabblickte, war
nichts mehr da – keine Kleider, kein Rucksack und nichts sonst.
Zu ihren Füßen
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