Hoelle auf Zeit
Luft war inzwischen zum Ersticken, verpestet von süßli chem Leichengeruch, von Verwesung. Endlich zog Valentin die letzten Fäden, hielt inne und zog dann behutsam die Schnittränder auseinander. Normalerweise kamen die inneren Organe nach der Obduktion wieder an Ort und Stelle, aber wenn sich die Beisetzung derart verzögerte wie in diesem Fall, wurden sie gewöhnlich vernichtet. Brust- und Bauchraum waren leer. Valentin stockte, seine Hände zitterten.
»Gefühlsduselig bis auf die Knochen, das hab ich doch im mer gewußt.« Jago öffnete die andere Reisetasche und holte einen Plastiksack mit Heroin nach dem anderen heraus, die er an Valentin weiterreichte. »Beeilung. Ich bin verabredet.«
Valentin schob ein Plastiksäckchen in die Brusthöhle und griff nach dem nächsten. »Junge oder Mädchen?« fragte er gehässig.
»Meine Güte, ich seh schon, ich muß dir mal wieder einen ordentlichen Denkzettel verpassen, du Idiot.« Jago lächelte milde, aber der Blick in seinen Augen war furchterregend.
Valentin brachte ein schwaches Lächeln zustande. »War doch nur ein Witz. Nicht bös gemeint.«
»Klar. Verstau jetzt den Rest und näh ihn wieder zu. Ich will raus hier.«
Jago steckte sich eine neue Zigarette an und verzog sich nach draußen, wo er den Korridor entlangging bis zur letzten Kapel le. Dort standen ein paar Stühle, eine Ewige Lampe brannte über dem kleinen Altar und einem Kruzifix aus Messing. Alles sehr schlicht, aber er mochte das, seit er als kleiner Junge auf der Familienbank in der Dorfkirche gesessen hatte, dahinter in respektvollem Abstand die Pächter seines Vaters. Das bunte Glasfenster dort zeigte das Familienwappen aus dem 14. Jahr hundert mit dem Wahlspruch: Wollen und Vollbringen. Diese Kurzformel galt auch für seine eigene Lebensphilosophie, mit der er allerdings nichts Besonderes erreicht hatte. Er wippte mit der Stuhllehne zurück gegen die Wand.
»Wo ist alles schiefgelaufen, alter Junge?« fragte er sich lei se.
Schließlich hatte er die denkbar besten Voraussetzungen ge habt. Einen alten, angesehenen Namen, den er natürlich jetzt nicht benutzte, denn der Anstand mußte ja gewahrt bleiben. Public School, Sandhurst, ein erstklassiges Regiment. Mit vierundzwanzig Captain und Militärverdienstkreuz für den Geheimauftrag in Belfast, und dann jener unselige Sonntag abend in South Armagh und vier unwiderruflich tote IRAMitglieder. Jago hatte es für widersinnig gehalten, sie lebend zu schnappen, sondern ihnen mit größtem Vergnügen eigen händig den Rest gegeben. Doch dann hatte diese wehleidige Ratte von Sergeant ihn angezeigt, und die britische Armee operierte natürlich nicht mit Todesschützen.
Daß er stillschweigend kassiert wurde, war für ihn gar nicht das Ausschlaggebende, auch wenn es seinen Vater um ein Haar umgebracht hätte. Er konnte es aber nicht verwinden, daß die Mistkerle ihm das Militärverdienstkreuz wieder abgenommen hatten. Doch das waren uralte Kamellen. Aus und vorbei.
Die Selous Scouts in Rhodesien waren im letzten Jahr vor der Unabhängigkeit nicht sonderlich wählerisch, sondern heilfroh, ihn zu kriegen. Desgleichen die Südafrikaner, für ihre Kom mandos in Angola. Später dann der Krieg im Tschad, wo er Valentin kennengelernt hatte; ein Glück, daß er dort mit dem Leben davongekommen war.
Und dann Smith, der geheimnisvolle Mr. Smith, und drei sehr lukrative Jahre – und am ungewöhnlichsten dabei, daß sie einander nie begegnet waren, oder zumindest nicht, soweit Jago wußte. Vor allem hatte er nicht einmal die leiseste Ah nung, wie Smith gerade auf ihn verfallen war. Das spielte zwar keine Rolle. Was einzig und allein zählte, war sein Genfer Konto in Höhe von fast einer Million Pfund. Er fragte sich, was wohl sein Vater dazu sagen würde, erhob sich dann und kehrte zur Kapelle zurück.
Valentin hatte die Schnitte sorgfältig wieder vernäht und dra pierte nun das Leichentuch. »Fünf Millionen Pfund Verkaufs wert. Wenn er wüßte, was für ein Vermögen er als Toter mit sich rumschleppt«, bemerkte Jago.
Valentin schraubte den Sargdeckel wieder zu. »Sechs, viel leicht sogar sieben, wenn man’s streckt.«
Jago lächelte. »Was müßte das für ein Scheißkerl sein, der so ein Ding dreht? Los, wir hauen jetzt ab.«
Sie gingen an dem Dienstraum vorbei, wo der Wärter immer noch fest schlief, und traten ins Freie. Es regnete, Jago stellte den Kragen hoch.
Weitere Kostenlose Bücher