Höllenengel
antworten sollte, aber Víkingurs
Gesicht zeigte keine Regung.
»Wir untersuchen, wie es zum Tod eines jungen Mannes kam, und
wir wissen, dass Karl Viktor, dein Sohn, und er vor nicht allzu
langer Zeit gemeinsam eine Auslandsreise gemacht
haben.«
»Magnús?« Sie nannte den Namen mit leiser Stimme
und nahm einen ernsten Ausdruck an. »Ja, Magnús
Brynjarsson.«
Plötzlich fiel Víkingur ein, wo er die Frau schon
einmal gesehen hatte. Auf der Beerdigung. Auf der Beerdigung von
Þórhildur und Magnús hatte er sie kurz gesehen,
ohne ihr besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Er kannte ohnehin
nur einen Bruchteil der Anwesenden.
»Ich habe dich auf seiner Beerdigung gesehen«, sagte
Víkingur. »Meine Frau war seine
Mutter.«
»Mein ganz herzliches Beileid«, sagte Edda mit
Anteilnahme in der Stimme. »Ich habe dich natürlich auch
gesehen, aber ich wollte es nicht ansprechen, als ihr ankamt. Man
will keine Wunden aufreißen, die begonnen haben, zu
heilen.«
»Wie hast du mit Magnús Bekanntschaft
geschlossen?«, fragte Víkingur.
»Ich habe ihn erst diesen Frühling
kennengelernt.
Nachdem meine Tochter starb. Sie waren Freunde. Er kam zur
Beerdigung hier runter und war ein paar Wochen bei uns. Er und Karl
Viktor, mein Sohn, verstanden sich gut. Magnús ist sogar
diesen Sommer mit uns nach Dänemark gefahren. Nach unserer
Rückkehr blieb er in Reykjavík, und einige Tage
später erfuhren wir hier, dass er gestorben
sei.«
»Du sagst, dass deine Tochter und Magnús Freunde
gewesen seien. Meinst du damit, dass sie eine Beziehung
hatten?«
»Sie waren sehr eng befreundet und mit der Zeit habe ich zu
hoffen begonnen, dass sie ein Liebespaar werden könnten. Ich
glaube, sie waren verliebt.«
»Dein Sohn, Karl Viktor, wo befindet er sich zurzeit?«,
fragte Randver.
»Er wohnt hier. Aber im Moment ist er nicht zu
Hause.
Er muss rausgegangen sein.« »Du sagst, ihr seid diesen
Sommer nach Dänemark gefahren. War das das Ziel eurer Reise,
oder seid ihr von da aus noch weitergefahren?«, fragte
Víkingur.
»Nein, wir waren nur in Dänemark die ganze Zeit. Wir
haben einen Leihwagen genommen und in kleinen Dörfern
übernachtet. Es war wunderschön dort und ganz toll, dass
Magnús mitgekommen ist. Ich sollte vielleicht dazusagen,
dass Karl Viktor nicht ganz so ist wie die meisten anderen. Er lebt
in seiner eigenen Welt und geht seinen Interessen
nach.«
»Was sind denn seine Interessen?«
»Er sitzt viel am Computer. Und dann interessiert er sich
für Geschichte und Ahnenforschung. Er stöbert gern
herum.«
»Ist er schon immer so gewesen?«
Edda musterte die beiden Männer. Vielleicht schätzte sie
ab, wie viel Vertrauen sie ihnen schenken sollte. Dann seufzte sie
und sagte: »Nein, er ist nicht immer so gewesen. Als Kind und
Jugendlicher war er ausgesprochen lebhaft und munter, aber er hat
sich verändert, so wie es alle tun, die mit Rauschgift zu tun
haben. Als er neunzehn Jahre alt war, hat er eine Psychose
bekommen, wurde in die Psychiatrie gebracht und hat einen Entzug
gemacht. Seitdem hat er keine Drogen mehr genommen, aber die
Persönlichkeitsveränderung ist geblieben und es besteht
wenig Hoffnung auf Besserung. Eigentlich überhaupt keine
Hoffnung. Die Ärzte haben viele Erklärungen. Vielleicht
ist es Schizophrenie und hat mit Drogen gar nichts zu
tun.
Vielleicht haben die Drogen die Veränderung hervorgerufen.
Vielleicht rührt sie auch ausschließlich vom
Drogenkonsum her. Vielleicht hat er zu viel Haschisch geraucht.
Vielleicht hat er sein Hirn mit LSD durcheinandergebracht. Niemand
weiß es genau. Aber ich weiß, dass es die Schuld des
Rauschgifts ist. Ich habe das schon einmal
gesehen.«
Edda verstummte. Sie war allem Anschein nach sehr betroffen und gab
sich größte Mühe, ihre Empfindungen im Griff zu
behalten. Dann bekam sie sich selbst unter Kontrolle und sagte
kühl: »Schutzlos habe ich zusehen müssen, wie die
Drogen meinen Mann und meine Tochter getötet und meinen Sohn
in einen Zombie oder Schlafwandler verwandelt haben. Ich, die ich
mich für Tiere und die Natur, für ein friedliches und
schönes Leben interessiere, bin inzwischen Spezialistin in
Sachen Horror, Verbrechen und Erniedrigung. Ich wähle
Politiker, die das Land regieren sollen, und bezahle Steuern, damit
die Polizei für die Einhaltung der Gesetze sorgen kann. Ich
dachte, dass irgendjemand meine Kinder vor den Kriminellen aus dem
Drogenmilieu schützt, aber so ist es nicht. Niemand
beschützt mich oder meine
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