Höllenengel
ihr euch
die Fahrt sparen können.«
»Wir hatten gar nicht vor, Pferde anzusehen«, sagte
Víkingur. »Wir suchen eigentlich unseren Kollegen,
dessen Mobiltelefon aus ist.«
»Wenn er hier langgefahren ist, ist es kein Wunder, dass er
nicht antwortet. Hier hat man so gut wie keinen Netzempfang,
außer manchmal an einem Punkt im Wohnzimmer, exakt wenn man
am Kamin steht.«
»Du hast ihn also nicht gesehen?«, fragte Randver.
»Er heißt Terje Joensen.«
»Kriminalpolizist«, fügte Víkingur
an.
»Seid ihr also von der Kriminalpolizei?«
»Er fährt einen weißen Toyota, einen alten«,
sagte Randver.
»Wollte er hierher zu uns?«
»Ja, das dachten wir«, sagte
Víkingur.
»Ich habe niemanden gesehen«, sagte Edda. »Aber
das heißt nichts, weil ich gerade erst aus der Stadt nach
Hause gekommen bin.«
»Reykjavík?«, fragte Randver.
»Nein, unsere Stadt zum Einkaufen ist Hella«, sagte
Edda. »Aber ich kaufe auch manchmal in Hvolsvöllur ein.
Nein, ich habe ihn nicht gesehen und auf dem Weg hierher auch
niemanden getroffen. Seid ihr sicher, dass er den Weg hierher
gefunden hat?«
»Nein, eigentlich nicht«, sagte Randver. »Aber er
geht nicht ans Telefon, also haben wir beschlossen, uns nach ihm
umzusehen.«
»Er ist jedenfalls nicht hier, wie ihr seht«, sagte
Edda.
»Kommt doch trotzdem einen Augenblick herein und trinkt einen
Kaffee, bevor ihr zurückfahrt.«
»Das können wir unmöglich annehmen, danke. Es ist
fast schon Abendessenszeit«, sagte Randver.
»Ich würde eine Tasse Kaffee nicht ausschlagen«,
sagte Víkingur. »Wenn es nicht zu viel Umstände
macht?«
»Das macht überhaupt keine Umstände«, sagte
Edda.
»Bitte, kommt herein.«
Nach isländischer Gewohnheit wollten sie im Eingangsbereich
ihre Schuhe ausziehen, aber die Dame des Hauses forderte sie mit
Nachdruck auf, sich damit nicht weiter abzugeben.
»Es ist natürlich ein guter Brauch, die Häuser
nicht in Schuhen zu betreten, aber ich habe mich daran nie
gewöhnen können. Ich finde Menschen auf Socken nicht
komplett angezogen. Auch wenn ich schon lange in Island
lebe.«
»Wie lange lebst du schon hier?«, fragte
Randver.
»Wir sind '69 hierhergekommen. Ausrechnen musst du es selbst.
Ich zähle meine Jahre nicht.«
»Woher kommst du, wenn ich fragen darf?«
»Natürlich wissen alle Isländer, woher jeder
kommt.
Aus dem Westen, dem Osten oder dem Norden des Landes. Ich sage
immer, ich komme aus dem Süden, also aus dem Süden von
Europa.«
»Und woher?«
»Woher meine Familie stammt?«, sagte Edda. »Das
ist auch eine nette Sitte, die Familien der Menschen Jahrhunderte
zurückzuverfolgen. Ich bin in Wien geboren, aber meine Familie
stammt aus Ungarn und Rumänien.
Mein Mann war Deutscher. Er hat mich ein kleines bisschen zu
spät erwischt, denn als wir uns kennenlernten, war ich bereits
anderweitig verliebt.«
»Du bist also mit einem Isländer
hierhergezogen?«
»Nein, das verstehst du falsch. Ich drücke mich auf
Isländisch vielleicht nicht ganz klar aus. Ich meinte, dass
ich schon verliebt ins Islandpferd war, als ich meinen Mann
kennenlernte. Deswegen sind wir nach Island ausgewandert.
Glücklicherweise hat sich nämlich auch mein Mann in ...
in das Pferd der Götter verliebt. Es hat uns hierhin
getragen.«
Im Auftreten dieser Frau lag etwas Bezauberndes, sodass sie ihren
Erzählungen aufmerksam folgten. Sie sah die Romantik in ihren
Augen, lachte auf und sagte: »Pfui, was schwätze ich.
Jetzt geh ich aber und hole den Kaffee.«
Sie drehte auf dem Absatz um und ließ die beiden allein im
Wohnzimmer zurück.
»Großartige Frau«, sagte Randver
leise.
Víkingur nickte. Ohne jeden Zweifel war die Frau etwas
Besonderes. Sie hatte eine enorme Präsenz. Er war sicher, sie
schon einmal irgendwo gesehen zu haben, konnte sich aber nicht
erinnern, wo.
Randver nahm sein Mobiltelefon und versuchte erneut, Terje
anzurufen.
»Jetzt klingelt es immerhin«, sagte er und wartete mit
dem Hörer am Ohr. »Aber er antwortet nicht. Was denkt
sich der Kerl eigentlich? Was sollen wir jetzt
machen?«
»Wir können wenig anderes machen als das, was wir gerade
tun«, sagte Víkingur. »Wir schauen uns nach ihm
um.«
Edda kam mit dem Kaffee in der Hand wieder und goss ihn in ihre
Tassen. Dann schaute sie sie abwechselnd an und sagte: »Ja,
was ich noch fragen wollte, welches Anliegen hatte euer Kollege
denn hier?«
Randver schaute Víkingur in der Hoffnung an, irgendeinen
Hinweis zu bekommen, wie er
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