Höllenengel
wir einige der Treibstofffässer
ausschütten.«
Als das Labor lichterloh brannte, liefen sie in den Wohntrakt.
Nordpol lag in der Tür des Badezimmers.
In einer Schüssel, die er vor sich hatte, war der Rest von
seinem Gesicht.
» Shit «, sagte Ulrich.
Nordpol hörte das wie aus weiter Ferne. Er sah nichts mehr mit
seinen ausgetrockneten und blutigen Augen, er murmelte und
fuchtelte mit den Händen, als ob er nähen
würde.
»Mit Nadel und Zwirn? Du machst wohl Scherze«, sagte
Karl und löste den Schuss aus.
Die Energie der Explosion war so groß, dass Karl und Ulrich
an die Haustür geworfen wurden.
»So funktioniert sie«, sagte Karl, als er wieder
Fuß gefasst und das Gewehr mit dem Granatwerfer vom Boden
aufgehoben hatte. »Das kann richtig gefährlich
sein.«
Von Nordpol war nichts mehr übrig außer dem Gesicht, das
aus der Schüssel gefegt worden war und nun an den scharfen
Glasscherben eines Bilderrahmens an der Wand hing. Im Hintergrund
konnte man einen Engel sehen, der zwei jungen Kindern in einem
Unwetter über eine Brücke half.
Sie ließen die Gewehre zurück, ebenso die
Armbrüste.
Ulrich saß am Steuer und fuhr ziemlich schnell, bis sie zur
Nationalstraße hinaus kamen. Danach hielt er sich an die
erlaubte Geschwindigkeit. Die Tankanzeige zeigte einen fast vollen
Tank an. Bei der nächsten Gelegenheit hielten sie an und
warfen die Overalls und die Armeestiefel in einen Mülleimer.
Dann nahmen sie ihre Fahrt Richtung Tallinn wieder auf.
Am Rand der Stadt hielten sie, parkten das Auto an einem
abgelegenen Ort und zündeten es an. Gingen dann jeder in seine
Richtung. Karl nahm ein Taxi zum Flughafen. Ulrich ging zu
Fuß zur Anlegestelle der Fähre am Hafen.
*****
Als Andrus und Frau Nuul beim Labor gehalten hatten, war Vello im
Kofferraum kurz davor, höflich zu klopfen, um sich in
Erinnerung zu rufen. Als er die ersten Schüsse hörte,
beschloss er, noch damit zu warten, bis es günstiger
wäre.
Im Kofferraum war es ausgesprochen heiß und trotz des starken
Schmerzes in seinem Fingerstumpf schlief Vello ein. Sorgen hatten
ihn noch nie wachhalten können.
*****
Engel sind viel mächtiger als Menschen. Sie kommen im
Christentum vor, im Islam, Judentum, Zoroastrismus und anderen
Religionen.
Viele Leute glauben, dass Menschen nach dem Tod zu Engeln werden
und dass ihre wichtigste Beschäftigung sei, sich auf Wolken
treiben zu lassen und Harfe zu spielen.
Das ist ein großes Missverständnis.
Engel sind damit beschäftigt, dringende Aufgaben zu
lösen.
Gleichfalls glauben viele, dass Engel Flügel haben. Weit
gefehlt. Die überwältigende Mehrheit der Engel bewegt
sich ohne Flügel fort, ohne von den Menschen hier auf der Erde
gesehen zu werden.
Über die gesamte Anzahl der Engel weiß man nicht genau
Bescheid außer dass im Koran (74.30) verkündet
wird, dass die Engel der Hölle neunzehn an der Zahl
seien.
Engel sind der Sicherheitsdienst, die Waffen-SS, der höchsten
Instanz.
Zehn
Im Prinzip ist es nur natürlich, dass ein Alkoholiker trinkt.
Genauso selbstverständlich, wie ein Epileptiker Anfälle
bekommt. Der Lebenssinn eines Alkoholikers besteht darin, zu
trinken. Ein Alkoholiker, der nicht trinkt, ist dagegen ein
unnatürliches und relativ seltenes Phänomen. Ein Mensch,
der den Kampf gegen sein Verlangen gewinnen will, muss sein
Verhalten jeden Tag bewusst unter Kontrolle haben, während
diejenigen, die so glücklich sind, frei von solchen Trieben zu
sein, den Wünschen ihres Körpers unbesorgt nachgeben
können.
Körper und Seele eines gesunden Menschen sind im
Gleichgewicht. Körper und Seele eines Alkoholikers befinden
sich in einem ewigen Kampf miteinander, und das Zerwürfnis ist
so tiefgreifend, dass niemand sagen kann, ob es der Körper des
Alkoholikers ist, der die Seele hintergeht, oder ob die Seele sich
darauf verlegt hat, den Körper und sich selbst zu
foltern.
Die Abhängigkeit siedelt sich im Menschen in einem unbekannten
Gebiet auf der Grenze zwischen Körper und Seele an.
Freilich sind sowohl Körper als auch Seele eher
unzweckmäßige Begriffe. Viele sind der Auffassung, dass
die Seele nicht existiert, und die Wissenschaft lehrt uns, dass der
Körper in Wirklichkeit wie ein Nebel ist, denn die
Moleküle nehmen viel weniger Raum ein als die Leere zwischen
ihnen. Irgendwo im Nebel wohnt die Sucht.
*****
Þórhildur rührte sich nicht, als Víkingur
aus dem Bett aufstand. Sie schlief immer noch, als er das Duschen,
Rasieren und Ankleiden hinter sich
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